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review 2015-12-23 09:12
Die Tränen flossen in Strömen
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin - Lilly Lindner

Lilly Lindner wurde berühmt durch die Veröffentlichung ihrer Biografie „Splitterfasernackt“ im Jahre 2011. Zugegebenermaßen ist dieses Buch an mir völlig vorbeigegangen. Der Name Lilly Lindner schob sich erst in mein Bewusstsein, als ihr neuster Roman „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ durch die Blogs tingelte und in höchsten Tönen gelobt wurde. Die Begeisterung der Blogger_innen war so groß, dass ich entschied, es lesen zu wollen, obwohl ich Bücher zum Thema psychische Erkrankungen mittlerweile eher meide. Was mich überzeugte, war, dass es sich bei diesem Buch um einen Briefroman handelt und Lindner die Perspektive einer Angehörigen einnimmt.

 

Für die 9-jährige Phoebe ist ihre große Schwester das Zentrum ihrer Welt. Niemand versteht sie so wie April. Doch nun ist April fort. Ihre Eltern haben sie in eine Klinik gebracht, weil sie krank ist. Phoebe versteht nicht, was Magersucht eigentlich bedeutet, aber sie spürt sehr genau, dass die Krankheit ihre Familie zerreißt. Allein mit Millionen Fragen tut sie das einzige, das ihr einfällt, um mit der Sehnsucht nach ihrer Schwester fertig zu werden: sie schreibt April Briefe. Obwohl sie niemals eine Antwort erhält, schickt sie fast täglich Worte hinaus in die Stille. Denn nur die Worte ermöglichen es Phoebe, die Leere, die April hinterlassen hat, einen kurzen Moment zu ertragen.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist das emotionalste Buch, das ich 2015 gelesen habe. Lilly Lindner ist eine beeindruckend talentierte Schriftstellerin, die eine extreme Nähe zu ihren Figuren erzeugt und auf diese Weise eine starke emotionale Resonanz provoziert. Ich konnte gar nicht verhindern, dass die Tränen in Strömen flossen. Es tat einfach so weh, diese Briefe zu lesen. Die Geschichte der beiden Schwestern hat mir wieder und wieder das Herz gebrochen. Ich wusste bereits vorher, dass Lindner nicht nur Phoebe eine Stimme verleiht, sondern auch April, doch darauf, wie intensiv ihre Verbindung ist und wie sehr sie einander in ihrer dysfunktionalen Familie brauchen, war ich nicht vorbereitet. Die beiden Mädchen sind hochintelligent und zutiefst missverstanden. Ihre Eltern sind von ihrer Intelligenz so eingeschüchtert, dass sie sie wie eine Krankheit behandeln. Sie sind überfordert und beschneiden die Kreativität ihrer Töchter, statt Phoebe und April angemessen zu fördern. Sie erwarten von ihnen, dass sie sich wie „normale“ Kinder verhalten. April ist unter dem Druck, ihren Erwartungen gerecht werden zu müssen, zerbrochen. Ihre Magersucht ist ein verzweifelter, stummer Hilferuf, den ihre Eltern sich meiner Meinung nach schlicht weigern zu sehen. Sie interessieren sich nicht dafür, warum April nicht isst und verschwenden ihre Zeit lieber mit fruchtlosen Anschuldigungen. Dabei ist ihre Art, April zu behandeln, nur ein Ausdruck ihrer eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht. Sie wissen nicht, wie sie auf ihre Tochter eingehen sollen und reagieren deshalb mit Wut. Sie stellen die falschen Fragen – wie könnte April ihnen einleuchtende Antworten geben? Phoebe ist die einzige, die April erreicht, doch Phoebe ist ein Kind. Weder ist es ihre Aufgabe, April zu retten, noch ist sie stark genug, das volle Gewicht von Aprils Traurigkeit zu tragen.
„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist ein großartiges Buch, das mich emotional sehr mitgenommen hat, alle Dämme in mir brach und definitiv eine hohe Wertung verdient. Dennoch bin ich froh, dass zwischen dem Lesen und dieser Rezension etwa zwei Wochen lagen, in denen ich Zeit und den nötigen Abstand erhielt, diese gefühlvolle Geschichte objektiv zu betrachten. Je länger ich das Buch gedanklich sezierte, desto deutlicher wurde, dass mich aller Betroffenheit zum Trotz irgendetwas störte. Ich musste tief in mich gehen, um herauszufinden, über welche Kante ich immer wieder stolperte. Mein Problem mit „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist folgendes: ich sollte heulen. Ich hatte keine andere Wahl, als Mitleid mit Phoebe und April zu haben und Wut für ihre Eltern zu empfinden. Ich fühle mich von Lilly Lindner emotional manipuliert. Das Buch drückt absichtlich und wenig subtil auf die Tränendrüse. Es gestand mir sehr wenig Raum für eigene Gedanken und Gefühle zu; stattdessen habe ich vermutlich genau und ausschließlich das empfunden, was Lilly Linder von mir erwartete. Ich fühlte mich seelisch in eine Ecke gedrängt, als würde mich Lindner zwingen, so und nicht anders zu empfinden. Meines Erachtens nach hat sie deswegen auch darauf verzichtet, die hässliche, psychische Fratze der Anorexia nervosa zu zeigen. All der Zorn und die Zerrissenheit, die ich von einem magersüchtigen Teenager erwarten würde, fehlen April. Da ist kein Selbsthass, kein Selbstekel, keine einzige Empfindung, die für Leser_innen potentiell unverständlich sein könnten, sodass die Sympathie für sie ungetrübt bleibt. Ich verstehe zwar, warum es Lindner wichtig war, dass April in einem positiven Licht erscheint, doch ich fand das Bild des armen, missverstandenen, lieben Mädchens ohne Fehl und Tadel etwas einseitig und nicht völlig glaubhaft.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ habe ich auf verschiedenen Ebenen meines Ichs unterschiedlich wahrgenommen. Emotional war dieses Buch ungeheuer verstörend; intellektuell fielen mir ein paar kleine Makel auf. Trotz dessen ist es für mich nicht im Geringsten schwierig, eine Bewertung festzulegen, denn die Gefühlsebene ist der objektiven, analytischen Ebene gegenüber immer dominant. Wenn mich ein Buch so zum Weinen bringt wie dieses, muss sich das einfach in der Anzahl der Sterne niederschlagen.
Solltet ihr mit dem Gedanken spielen, „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ zu lesen, muss euch klar sein, dass das kein Spaziergang wird. Es wird weh tun. Es wird euch aber auch eine Krankheit näherbringen, die bis heute stigmatisiert und tabuisiert wird.
Ich für meinen Teil nehme aus diesem Buch vor allem eines mit: tiefe Dankbarkeit für meine wundervolle, unterstützende Familie.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/23/lilly-linder-was-fehlt-wenn-ich-verschwunden-bin
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review 2015-02-12 11:05
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin - Mir die Worte
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin - Lilly Lindner

Die Geschichte

Mein Name ist Pheobe und ich bin noch klein. Auf alle Fälle viel kleiner als meine Schwester die in einer Klinik ist weil sie ganz doll krank ist. Und das sie nicht so alleine ist, schreibe ich ihr wenigstens Briefe, so kann sie ein klein wenig an unserem, oder meinem Leben teilhaben. Auch wenn ich bin jetzt noch keine Antwort bekommen habe, vielleicht ist sie ja böse auf mich oder doch noch viel zu krank, schreibe ich tapfer weiter. Denn meine Worte müssen gehört oder zumindest gelesen werden, was hätten sie denn sonst für einen Sinn? Unsere Eltern wollen die nämlich am liebsten gar nicht hören und wenn sie dennoch mal welche aufschnappen sind sie böse, verwirrt und schreien mich an, schicken mich weg... 
 
Oh April, werd doch schnell wieder gesund, so das unsere Worte wenigstens einander haben.... 
 
 

Erster Satz: 
Liebe April, du bist jetzt schon fast eine Woche weg, und ohne dich ist es schrecklich langweilig hier.


Meine Meinung

 

Als erstes möchte ich mich bei LovelyBooks und dem Fischer Verlag bedanken das ich im Zusammenhang mit der Fischer-Challenge dieses Buch lesen durfte. Das hat mich sehr gefreut und war wirklich spannend zu lesen wie die anderen das Buch fanden und was sie so mit genommen haben. Aber jetzt zu meiner Rezension ;)
 
Wie immer beginne ich mit dem Titel und Cover. Was fehlt, wenn ich verschwunden bin? Mir kam da gleich folgende Assoziation in den Sinn nach dem ich es gelesen habe... DU. Das Cover find ich wunderschön, beruhigend. Im ersten Augenblick ist von allem dem Drama, dem Schmerz, der Wut, der Verzweiflung und Trauer gar nichts zu sehen. Und doch, die auseinanderstiebenden Vögel, die aus dem Zentrum, dem Ich, in die Ferne fliegen, zeigt die Auflösung!! Die Auflösung vom Ich. Die Leichtigkeit die sich einstellt wenn man verschwindet....
 
Was den Schreibstil von Lilly Lindner angeht... Der ist sicher nicht für jeden so fantastisch wie für mich. Mich hat er verzaubert denn sie hat eine wunderbare Gabe mit den Worten zu spielen. Sie auseinander zu nehmen und wieder neu zu ordnen, logisch, kindlich und doch so wahr. Die Worte haben eine tiefe Wahrheit und die Geschichte mit all den Worten trägt so viel Weisheiten in sich.
 
Die Geschichte wird in Briefformat erzählt. Nichts neues, eigentlich und doch speziell, denn es ist nicht der klassische Briefwechsel oder Mailverkehr den wir sonst schon kennen. Warum das so ist Erzzahl ich euch gleich.
 
Also, es geht um Pheobe, sie schreibt Briefe an ihre kranke, in einer Klinik weilenden, Schwester. April ist sehr krank, sie leidet seit Jahren an Magersucht. Pheobe schreibt ihr also Briefe in die Klinik damit sie nicht ganz so abgeschnitten ist von ihr, und natürlich April nicht von der Familie. Doch so verzweifelt und doch voller Hoffnung sie auch schreibt, sie bekommt nie eine Antwort... Pheobe schreibt in ihren Briefen wie ihre Tage waren, das sie hofft April bald gesund wieder zu Hause zu haben, das sie sie vermisst und wie schlimm es zu Hause ist. Das Sie selber nur ein halber Mensch ist ohne sie. Auch erzähl sie das sich die Eltern nur noch streiten und sie ständig an motzen oder anschreien oder sie gar weg schicken, und dass, egal was sie tut es falsch ist. Pheobe ist verzweifelt, wütend, ängstlich und verwirrt, sie versteht mit ihren wenigen Jahren noch nicht ganz was Magersucht wirklich bedeutet, auch wenn sie es tief in ihrer Seele schon ahnt.
 
Leider sind die Eltern dabei auch keine Hilfe denn die sehen nur sich, ihr Leid, ihre Strapazen. Sie fragen sich was für eine Tochter sie da haben der nichts anderes in den Sinn kommt als sich zu Tode zu hungern. Auch gegenüber Pheobe nehmen sie ihre elterliche Verantwortung nicht war. Anstatt sie zu trösten, ihr zu erklären was passiert, für sie da zu sein, schweigen sie es tot. Kritisieren ständig an ihr herum und lassen sie schlichtweg alleine mit den Ängsten und der Trauer. Die Eltern kommen bei mir alles andere als gut weg. Sie sind so was von kaltschnäuzig, rechthaberisch und Ich-bezogen. Verantwortung übernehmen ist für sie ein Fremdwort, lieber immer den Kindern die Schuld für alles geben. Nur weil es keine Schönwetterkinder sind! So können sie halt auch keine Schönwettereletern sein. Sie sind überfordert mit diesen beiden klugen Mädchen, was aber viel schlimmer ist,sie machen sich nicht mal erst die Mühe es zu versuchen!
 
Die Geschichte ist in 2 Teilen aufgebaut, im ersten Teil bekommen wir die Briefe von Pheobe an April zu lesen, dann, im zweiten, die von April an Pheobe. Je mehr Briefe man liest je mehr kann man die beiden Mädchen verstehen. Sie wachsen einem dermassen ans Herz das es weh tut.
 
Für mich ist die Rezi nicht ganz einfach, weil mich das Buch sehr emotional berührt hat,
es gab Momente, da musste ich das Buch weglegen weil es mich so mit genommen hat. Ich war so wütend, auf die Eltern, ich war so traurig über die Situation. ich konnte die Verzweiflung, die Trauer und die Aufgabe richtig fühlen, mir hat es den Brustkorb eng gemacht... Und ich muss aufpassen das die Rezi, ob wohl ich eine Nacht drüber geschlafen habe, nicht ausufert.
 
Das Thema Magersucht mag für einige zu wenig Zentral sein, was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Denn im 2 Teil kommt das Thema schon sehr zum tragen, find ich, man muss manchmal einfach zwischen den Zeilen lesen. Gut im ersten Teil natürlich weniger, weil alles aus der Sicht von Pheobe geschrieben ist, aber im zweiten wird es schon sehr thematisiert, wenn auch in den leisen tönen, halt so wie April leise ist, oder eben fast gänzlich verstummt.
 
Für mich war das Buch rundum ein aussergewöhnlich. Rein Sprachtechnisch ist es eine Perle, wie ich finde. Und ich werde ihre anderen Bücher sicher auch noch lesen, wenn nicht gleich im Anschluss, denn das wär mir dann doch zu heftig, ich muss dieses erst mal noch sacken lassen.
 
Wer erst mal einen Eindruck vom Buch haben möchte kann sich auch mal in die Leseprobe einlesen. 
 

Mein Fazit

dramatisch, herzerreissend, traurig
 
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