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review 2019-05-16 21:18
Es liegt nicht an Ihnen, Mr. Cronin - es liegt an mir
The City of Mirrors - Justin Cronin

Das Finale der „The Passage“-Trilogie, „The City of Mirrors”, erschien im März 2016, sechs Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Bandes „The Passage“ – deutlich später als geplant. Diese Verzögerung hatte einen spezifischen Grund. 2012 wurde beim Autor Justin Cronin Prostatakrebs diagnostiziert. Er musste sich einer schweren, mehrstündigen Operation unterziehen. Soweit ich weiß, geht es ihm heute gut, aber natürlich veränderte diese Erfahrung seinen Blick auf das Leben und die Geschichte, die er erzählen wollte. Es kostete ihn Zeit, herauszufinden, wie er seine neue Wahrnehmung, die sich unter anderem in gesteigerter Religiosität äußert, in „The City of Mirrors“ einfließen lassen wollte, obwohl das Ende der Trilogie von Anfang an feststand. Geschichten sind letztendlich eben immer auch Spiegelbilder ihrer Schöpfer_innen.

 

Die Virals sind verschwunden. Seit 20 Jahren wurden keine Infizierten gesichtet. Langsam beginnen die Menschen, der Sicherheit zu trauen. Sogar Peter, obwohl er sich noch immer fragt, was nach ihrem verheerenden Kampf gegen die Zwölf mit Amy geschah und ihn seltsame Träume quälen. Tagsüber ist er ein verantwortungsbewusster Vater, doch nachts entschwindet er in eine betörende Fantasiewelt. Der optimistische Ausbau der Städte lenkt ihn nur bedingt von seinem grotesken Doppelleben ab. Sein alter Freund Michael Fisher hingegen beteiligt sich nicht am Wiederaufbau der Zivilisation. Er widmet seine ganze Energie einem verrückten Plan, um die Menschheit zu retten, weil er nicht daran glaubt, dass die Virals wirklich ausgelöscht sind. Er hat Recht. Einer ist noch übrig. Der Eine, klüger, gerissener und boshafter als alle anderen. Der Erste, der je infiziert wurde: Zero…

 

Ich verstehe voll und ganz, dass Justin Cronin die transformative Wirkung seiner Krebserkrankung in „The City of Mirrors“ zu verarbeiten versuchte. Leider ändert mein Verständnis für den Autor nichts daran, dass ich das Finale der hochgelobten „The Passage“-Trilogie etwas enttäuschend fand. Ich möchte nicht streng oder missgünstig wirken, doch die Schwierigkeiten, die ich bereits mit „The Twelve“ hatte, setzten sich fort und verstärkten sich sogar. „The City of Mirrors“ kreist um Zero, der einst Tim Fanning hieß und das Virus als Patient Null in die USA brachte. Sein Schicksal bestimmt den Inhalt des Trilogieabschlusses, da er der letzte noch lebende Meister-Viral ist. Dennoch ist er anders als die Zwölf, was seine Vorgeschichte, die Cronin als spannende Binnenerzählung intensiv und ausführlich vorstellt, unmissverständlich illustriert. Fanning war ein kluger, gebildeter, kultivierter Wissenschaftler, kein Verbrecher, der in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartete. Er beteiligte sich an der Expedition in den bolivianischen Dschungel, um einem schmerzhaften Verlust zu entkommen. Diese düsteren Emotionen färbten seine Mutation, weshalb er meiner Ansicht nach der gefährlichste aller Virals ist. Zero ist ein manipulativer Verführer, der die Welt in seinem Schmerz ertränken will. Ich erfuhr, dass vieles, was bisher geschah, ihm anzurechnen ist. Obwohl ich seine einfühlsame Charakterisierung glaubwürdig fand, arbeitete Justin Cronin Zero meiner Meinung nach jedoch zu spät in die Handlung ein. Mir fehlte in den Vorgängerbänden seine Handschrift, das Gespür für seine subtilen Manipulationen und die Relevanz seiner Rolle. Hätte Cronin eher begonnen, diese zu etablieren, wären die extremen Zeitsprünge, die er in „The City of Mirrors“ vornimmt und die mir erhebliche Probleme bereiteten, weil ich die Figuren mental nicht angemessen altern lassen konnte, vielleicht unnötig gewesen. So musste er die Menschheit über einen Zeitraum von 20 Jahren erst davon überzeugen, dass die Virals Vergangenheit sind, um die finale Konfrontation mit Zero vorzubereiten. Diese findet in New York statt und involviert neben Zero vier Hauptfiguren, die Cronin meinem Empfinden nach sehr ungerecht und hart behandelt. Niemand erhält das Happy End, das ich ihnen gewünscht hätte. Paradoxerweise fand ich den Abschluss der Trilogie selbst, die ihr Ende in einem äußerst langgezogenen Epilog 1000 Jahre später findet, hingegen zu optimistisch. Ich denke, Cronin tat sich keinen Gefallen damit, dass er sich auf diesen Verlauf bereits im ersten Band festlegte. Zwar erkenne ich an, dass es grundsätzlich schwierig ist, ein Epos dieser Dimension befriedigend abzuschließen, aber das Szenario, das er vorschlägt, war mir zu kuschlig-friedlich und kulminiert aufdringlich die religiös-spirituellen Motive, die in „The City of Mirrors“ ohnehin prominenter sind als in den Vorgängern. Das Buch stützt sich stark auf absurde, praktische Zufälle, die Cronin indirekt mit göttlichem Eingreifen erklärt, was die plausible wissenschaftliche Ebene untergräbt. Für mich hat in diesem Finale einfach alles nur halb gestimmt.

 

Direkt nach der Lektüre war ich sehr versucht, „The City of Mirrors“ lediglich mit zwei Sternen zu prämieren. Ich war enttäuscht und unzufrieden und hatte das Gefühl, ich müsste dieser Negativität unbedingt Luft machen, weil ich so viel Zeit mit der „The Passage“-Trilogie verbracht hatte. Diese Bewertung wäre Justin Cronin jedoch nicht gerecht geworden. Er mag nicht das Ende geschrieben haben, das ich mir gewünscht habe, aber ich kann und möchte nicht außer Acht lassen, wie viel Aufwand er in sein detailliert ausschattiertes Universum und die komplexe Geschichte seiner Trilogie investierte. Ich werde ihn nicht dafür abstrafen, dass er inhaltliche Entscheidungen traf, die nicht meinem Geschmack entsprechen, weil „The City of Mirrors“ dennoch ein gutes Buch ist, ebenso wie es sich bei „The Passage“ insgesamt um einen imposanten Dreiteiler handelt. Meine objektive und subjektive Wahrnehmung sind sich nicht einig, weil ich offenbar eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wie die Geschichte zu enden hat. Mr. Cronin, es liegt nicht an ihnen – es liegt an mir.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/05/16/justin-cronin-the-city-of-mirrors
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review 2015-12-27 11:47
Schlechtes Erwartungsmanagement
Tintenherz (Tintenwelt, #1) - Cornelia Funke

Gibt es eine deutschsprachige Autorin, die den Titel „Bestsellerautorin“ wirklich verdient, dann ist es Cornelia Funke. Seit Ende der 80er Jahre im Geschäft, lag ihre Gesamtauflage 2012 bei Sage und Schreibe 20 Millionen Büchern. Ihre Romane wurden bislang in 37 Sprachen übersetzt und 2005 wählte sie das TIME Magazine unter die 100 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten.
Trotz Funkes enormen Erfolgs und jahrelanger, euphorischer Schwärmerei seitens meiner Mutter brauchte ich sehr lange, bis ich bereit war, „Tintenherz“ endlich eine Chance zu geben.

 

Meggie und ihr Vater Mo führen ein ungewöhnliches, aber ruhiges Leben. Als Buchbinder ist Mo viel unterwegs, um Büchern überall auf der Welt ein neues Kleid zu schenken. Seine Tochter begleitet ihn oft auf seinen Reisen, denn die Liebe zu den Büchern verbindet sie. Niemals hätte Meggie erwartet, dass ausgerechnet ein Buch ihr Leben völlig durcheinanderbringt. In einer besonders ungemütlichen Nacht klopft ein mysteriöser Gast an ihre Tür. Seltsamerweise scheint Mo den Mann zu kennen, doch sein Besuch ist ihm offenbar unangenehm. Am nächsten Morgen brechen sie Hals über Kopf zu Meggies verschrobener Tante Elinor auf. Bevor sie abfahren, beobachtet Meggie Mo dabei, wie er ein merkwürdiges kleines Buch einpackt, das Meggie noch nie zuvor gesehen hat. Bei Elinor angekommen, bittet Mo sie, eben dieses Buch in ihrer gewaltigen Bibliothek zu verstecken. Warum will Mo das Buch verbergen und wieso weigert er sich, Meggie zu erklären, was es damit auf sich hat? Als böse Männer in Elinors Haus einbrechen, das Buch stehlen und Mo entführen, stürzen Vater und Tochter in das Abenteuer ihres Lebens – voller Magie, Geheimnissen und Gefahren.

 

„Tintenherz“ ist für mich ein Rezensionsschreckgespenst. Selbst während ich hier sitze und tippe, weiß ich eigentlich nicht, was ich schreiben soll. Ich gebe das ganz ehrlich zu, denn ich glaube einerseits, dass das allen Rezensent_innen ab und zu passiert und andererseits, dass die Tatsache, dass mir nichts einfällt, bereits einiges darüber aussagt, wie ich das Buch fand. Deswegen wird dies hier keine reguläre Rezension, denn ich bin nicht in der Lage, „Tintenherz“ wie jedes andere Werk zu analysieren. Stattdessen möchte ich euch erklären, was mich blockiert und warum.
Nach der Lektüre von „Tintenherz“ habe ich mich mit meiner Mutter über Erwartungsmanagement unterhalten müssen. Es tut mir unheimlich leid um das Buch, doch aufgrund ihres jahrelangen Überschwangs waren meine Erwartungen astronomisch, unrealistisch hoch. Sie hat das Buch in meinem Kopf größer werden lassen, als es eigentlich ist, wodurch mich die tatsächliche Erfahrung des Lesens enttäuscht hat. Die ganze Zeit wartete ich darauf, dass all das Spektakuläre, das ich in die Worte meiner Mutter hineininterpretierte, passierte. Ich konnte nicht wissen, dass meine Erwartungshaltung unmöglich zu erfüllen war. Darüber hinaus wurde mir klar, dass sie mir bereits lange vor der Lektüre das wichtigste Detail der Geschichte verriet. Sie hat mich heftig gespoilert. Das ist das erste Mal, dass sich meine Kenntnis eines entscheidenden Bausteins unbestreitbar auf mein Lesevergnügen auswirkte.
Ich kann „Tintenherz“ nicht objektiv bewerten, weil ich nicht weiß, wie es auf mich gewirkt hätte, wären meine Erwartungen nicht total übersteigert gewesen. Meine Enttäuschung ist so dominant, dass sie jedes andere Gefühl überdeckt und unterdrückt. Der Versuch einer normalen Rezension wäre deswegen äußerst unfair, denn es liegt nicht an der Geschichte selbst, dass ich unzufrieden bin. Glaube ich zumindest. Ich denke schon, dass sie mir hätte gefallen können, obwohl ich überzeugt bin, dass ich den allgemeinen Hype trotz dessen nur schwerlich nachvollziehen könnte. Dafür hätte ich sie vermutlich wesentlich eher lesen müssen, nicht erst mit Mitte 20.
Ich hoffe nun stark auf die Fortsetzung der Trilogie, über die ich rein gar nichts weiß. Ich fand den Auftakt ja nicht schlecht, er war nur nicht das, was ich erwartet hatte. Ich möchte mich nicht damit abfinden, dass sich alles, was ich für „Tintenherz“ empfinde, durch ein Schulterzucken ausdrücken lässt. Für mich ist diese Situation nicht akzeptabel, denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sich so viele Leser_innen weltweit irren sollen. Nein, ich bin das Problem, dessen bin ich sicher.

 

Manchmal ist die Beziehung zu einem Buch durch äußere Faktoren kompliziert. Erwartungen sind eine heikle Angelegenheit. Wie ihr seht, ist die begeisterte Schwärmerei über ein Buch in diesem Fall mächtig nach hinten losgegangen. Ich möchte noch einmal betonen, wie leid es mir um „Tintenherz“ tut. Ich laste es weder Cornelia Funke noch der Geschichte an, dass mich die Lektüre nicht so glücklich gemacht hat, wie ich es mir gewünscht hätte. Es tut mir auch leid, dass ich euch dieses Mal keine richtige Rezension anbieten kann, aber ich komme an meinem Gefühl der Enttäuschung einfach nicht vorbei. Ich würde euch gern einen Eindruck von Schreibstil, Handlungskonstruktion und Charakterkonzipierung vermitteln, doch ich dringe nicht zu meinem analytischen Ich hindurch. Für mich ist das eine unangenehme Erfahrung, allerdings ist es auch eine wichtige Lektion, die ich bereits an meine Mutter weitergereicht habe. In Zukunft wird sie sich bestimmt etwas besser beherrschen und sich auf die Zunge beißen, bevor sie mir ein entscheidendes Detail verrät. ;)
Wenn ihr „Tintenherz“ bereits gelesen habt, verratet mir doch, was euch daran begeisterte. Vielleicht brauche ich einfach eine andere Perspektive, um zu sehen, was an der Geschichte so wundervoll ist, dass sie weltweit geliebt wird.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/27/cornelia-funke-tintenherz
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