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review 2019-05-28 10:11
Zu unglaubwürdig, um es ernst zu nehmen
Hells Angel. Mein Leben - Kent Zimmerman,Keith Zimmerman,Sonny Barger

Ich könnte heute nicht mehr sagen, wann mein Interesse am Motorradclub Hell’s Angels begann. Ich gehe davon aus, dass Hunter S. Thompsons literarische Reportage „Hell’s Angels“ großen Anteil daran hatte, die ich las, als ich etwa 20 Jahre alt war. Der exzentrische Journalist reiste in den 60er Jahren mit dem Club. Seine Schilderungen faszinierten mich. Er malte das Bild wilder, unbeugsamer, freiheitsliebender Männer, die sich von niemandem etwas sagen ließen und eigene Gesetze schrieben. Ihre Lebensauffassung brachte meinen eigenen Freiheitsdrang, der in meiner Jugendzeit stark ausgeprägt war, zum Singen. Ich sah in ihnen moderne Piraten, Rebellen und fühlte mich zu ihren Idealen hingezogen.

 

Es dauerte Jahre, bis ich bereit war, einzusehen, dass meine romantischen Vorstellungen der Hell’s Angels vollkommen verklärt waren. In den Medien häuften sich Berichte von kriminellen, mafiaähnlichen Strukturen, schweren Straftaten wie Zuhälterei, Drogen- und Waffenhandel und blutigen Fehden, die nicht selten in Rachemorden gipfelten. Ich fühlte mich desillusioniert und enttäuscht. Diese Nachrichten hatten nichts mit der sympathischen Bande ruppiger Aussteiger zu tun, die ich in „Hell’s Angels“ kennengelernt hatte. Heute weiß ich, dass ich das immense kriminelle Potential des Clubs, das sich bereits in den 60ern andeutete, einfach ignorierte. Ich wollte es nicht sehen.

 

Mit der Erkenntnis kam die Ernüchterung. Je öfter ich Nachrichten sah oder las, die die gewalttätigen oder illegalen Exzesse der Hell’s Angels dokumentierten, desto weniger verstand ich, wie aus einem Haufen Verlierer, die der Gesellschaft freiwillig den Rücken gekehrt hatten, eine strikt organisierte, globale, kriminelle Vereinigung werden konnte. Diese Frage beschäftigt mich noch immer. Deshalb nahm ich mir im Februar 2019 die biografischen Aufzeichnungen des Mannes vor, der es meiner Ansicht nach am besten wissen musste: Ralph »Sonny« Barger, Gründungsmitglied und langjähriger Präsident der Hell’s Angels.

 

Ralph Hubert »Sonny« Barger wurde am 08.10.1938 in Kalifornien geboren. Er wuchs mit seiner älteren Schwester bei seinem alkoholkranken Vater auf, seine Mutter hatte die Familie verlassen, als er ein Baby war. Der junge Ralph fiel früh als schwieriges Kind auf, er prügelte sich oft, hatte kein Interesse an Bildung und griff sogar seine Lehrer_innen an, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. 1955, im Alter von 16 Jahren, beschloss Barger, seine schulische Karriere zu beenden und trat in die Army ein. Die Altershürde beseitigte er kurzerhand, indem er seine Geburtsurkunde fälschte. Sein Betrug fiel erst 14 Monate später auf. Nach 18 Monaten Dienstzeit wurde er mit vollen Ehren entlassen. Das klingt aus heutiger Sicht unglaublich, doch es waren eben andere Zeiten.

 

Zurück in Kalifornien kaufte er sich 1956 sein erstes Motorrad und trat seinem ersten Club bei, den Oakland Panthers. Er suchte nach einer Ersatzfamilie, nach Männern, die ähnliche Prioritäten setzten wie er selbst: Freiheit und die Ablehnung jeglicher Autorität und Regeln. Er erlebte einige Enttäuschungen mit „Wochenendfahrern“, bis er 1957 mehrere kleinere Clubs in Kalifornien zu einem einzigen zusammenschloss: den Hell’s Angels. Das Oakland Chapter (Charter, in der Terminologie des Clubs) war geboren und Barger wurde zum Präsidenten ernannt. Es folgten wilde Jahre voller Kriminalität, Drogen, Alkohol, Partys, Frauen und Knastaufenthalte. Die Hell’s Angels gewannen stetig an Popularität, erarbeiteten sich einen gewissen Ruf und weiteten sich erst über die USA und später weltweit aus.

 

Barger war mittendrin. Er führte ein Leben am Limit. 1982 forderten die Exzesse ihren Tribut. Er erkrankte an Kehlkopfkrebs und stand an der Schwelle des Todes. Lediglich eine Operation, in der ihm der Kehlkopf (inklusive Stimmbänder) vollständig entfernt wurde, rettete ihn. Er gab das Rauchen auf und erlernte über ein Tracheostoma (laut Wikipedia eine künstliche Verbindung zwischen Luftröhre und äußerer Umgebung) das Sprechen neu. 1998 zog er nach Arizona, weil das Klima in dem tendenziell heißen Bundesstaat seiner Gesundheit guttat, hängte das Präsidentenamt an den Nagel und eröffnete eine Motorradwerkstatt. Heute ist Ralph »Sonny« Barger ein ganz normales Mitglied der Hell’s Angels und lebt noch immer bei Phoenix.

 

Barger hatte stets ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu den Medien und der Presse. Während er die meisten Journalisten als Schmierfinken betrachtet und an Hunter S. Thompson kein gutes Haar lässt, arbeitete er immer gern mit Filmproduktionsfirmen als Berater und sogar als Darsteller zusammen. Leicht verdientes Geld. Vielleicht erinnern sich einige von euch an seine Gastrolle als Lenny „The Pimp“ Janowitz in der Serie „Sons of Anarchy“.
Er schrieb mehrere Bücher, die sich – Überraschung – thematisch alle mit dem Motorradfahren und Motorradclubs befassen. „Hell’s Angel: Mein Leben“ ist Bargers schriftstellerisches Debüt, das er zusammen mit den Autoren-Brüdern Keith und Kent Zimmerman verfasste. Darin wagt Barger einen schonungslos persönlichen Rückblick auf die Hell’s Angels: auf seine Vergangenheit, die Gründung des Clubs und seine Zeit als Präsident bis 1998.

 

Nach diesem langen Vorlauf erwartet ihr vermutlich eine ähnlich umfangreiche Rezension. Leider muss ich euch enttäuschen. Es gibt nicht viel über „Hell’s Angel: Mein Leben“ zu berichten. Man muss es nicht gelesen haben, nicht einmal, wenn man sich für die Hell’s Angels interessiert. Ralph »Sonny« Barger ist kein guter Autobiograf. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was aus dieser willkürlichen Aneinanderreihung von Erinnerungen und Anekdoten geworden wäre, wäre er nicht von den Autoren Keith und Kent Zimmerman unterstützt worden. Ich denke, es ist ihnen zu verdanken, dass „Hell’s Angel: Mein Leben“ zumindest über eine grobe zeitliche Linearität verfügt und thematische Schwerpunkte ansatzweise bündelt. Ohne sie hätte ich es wahrscheinlich mit einem noch viel chaotischeren Kuddelmuddel zu tun bekommen. Ich glaube nicht, dass Barger wirklich Interesse daran hatte, seinen Leser_innen einen zuverlässigen Überblick über seine Vergangenheit zu bieten. Meiner Meinung nach schrieb er dieses Buch primär für sich selbst. Er folgt keiner erkennbaren Chronologie oder Struktur, springt zwischen den Jahren hin und her und bemüht sich nicht, Situationen nachvollziehbar zu schildern. Hintergründe und Emotionen klammert er meist komplett aus, sodass ich zwar verstand, was geschehen ist, aber nicht, wie er sich dabei fühlte oder was ihn motivierte und bewegte. Sein ungeschönter Erzählstil provoziert, er nimmt kein Blatt vor den Mund. Prinzipiell ist mir eine authentische Erzählweise immer lieber als jede glattpolierte Rhetorik, in diesem Fall hinterließ die Mischung aus vulgärer Sprache und absoluter Subjektivität allerdings einen Beigeschmack von Selbstbeweihräucherung. Barger findet sich selbst und die Hell’s Angels schon ziemlich geil. Er romantisiert, idealisiert und verharmlost sein gewaltgeschwängertes Leben vor und innerhalb des Clubs und zeigt keinerlei Unrechtsempfinden. Im Gegenteil, er inszeniert ein lächerliches Opfernarrativ und wagt es, zu behaupten, die Hell’s Angels, die ja nur Motorrad fahren wollten, seien stets grundlos von Autoritäten und Gesellschaft schikaniert worden. Klar. Die Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden hatten natürlich nichts mit den illegalen Aktivitäten des Clubs zu tun. Beschwert er sich nicht gerade, wie furchtbar ungerecht die Welt ist, prahlt Barger und stellt Theorien auf, für die er keine Belege liefert. Beispielsweise schwört er, Harley Davidson orientierte sich bei der Gestaltung ihrer Motorräder an den Hell’s Angels und Polizeikonvois anlässlich von Beerdigungen seien ebenfalls nach dem Vorbild des MC eingeführt worden. Mag alles sein, ist seinerseits jedoch lediglich eine Vermutung, die er als Fakt darstellt. Diese Verzerrung der Wahrheit zieht sich wie ein roter Faden durch „Hell’s Angel: Mein Leben“. Barger hat niemals Schuld und was in Ermittlungsakten steht, ist ohnehin gelogen. Er ist unreflektiert, unreif, gesteht keinen einzigen Fehler ein und ist offenbar nicht im Stande, sich selbst kritisch zu betrachten. Deshalb ist dieses Buch nicht das wertvolle Dokument, das ich mir erhofft hatte. Es sagt wesentlich mehr über die verschobene Wahrnehmung des Autors aus als über die Hell’s Angels.

 

Es ist das Vorrecht eines Autobiografen, die Realität aus seiner Sicht zu interpretieren. „Hell’s Angel: Mein Leben“ ist trotz der durchaus interessanten persönlichen Informationen über den Autor zu unglaubwürdig, um es ernst zu nehmen. Ich bin fest überzeugt, dass Ralph »Sonny« Barger alles, was er erzählt, für die reine Wahrheit hält, doch zwischen faktischer und erlebter Wahrheit können eben Welten liegen. Es enttäuschte mich, dass er nachdrücklich darauf pocht, dass die Hell’s Angels nicht mehr als ein unschuldiger Verein von Männern sind, die gemeinsam Motorrad fahren wollen und ihre Gewaltbereitschaft sowie die Schwere ihrer kriminellen Geschäfte verharmlost, obwohl er sich an beiden Punkten aufzugeilen scheint. Er geht überhaupt nicht auf die internationale Situation des MC ein, vermittelt jedoch unmissverständlich, wie stolz er auf die globalen Chapter ist.

 

Für mich war „Hell’s Angel: Mein Leben“ ein Ausflug in den Kopf eines Mannes, mit dem ich mich weder identifizieren kann noch möchte; jemand, der Selbstjustiz, Sexismus und Gewalt zu seinem Lebenscredo erhob. Bargers Autobiografie ist auf eine voyeuristische Art unterhaltsam, weil Leser_innen eine Weltanschauung kennenlernen, die hoffentlich sehr weit von ihrer eigenen entfernt ist. Sie sollte aber mit Vorsicht und einer ordentlichen Portion Skepsis genossen werden. Es ist nicht alles Gold, was glänzt und Ralph »Sonny« Bargers Erinnerung sind selbstverständlich subjektiv. Die Hell’s Angels waren und sind garantiert keine Chorknaben. Das solltet ihr niemals vergessen, falls ihr euch dafür entscheidet, dieses Buch zu lesen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/05/28/ralph-sonny-barger-hells-angel-mein-leben
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review 2017-08-01 10:33
Einen Hauch zu abenteuerlich und inszeniert
Fire & Ash - Jonathan Maberry

„Fire & Ash“ ist der letzte Band der postapokalyptischen Geschichte rund um den Teenager Benny Imura. Gerüchten zufolge ist die Reihe „Rot & Ruin“ jedoch nicht abgeschlossen. Angeblich kündigte der Verlag Simon & Schuster für 2018 und 2019 jeweils einen neuen Band an. Diese beiden zusammenhängenden Bände sollen im gleichen Setting neue Charaktere und eine komplett neue Handlung vorstellen. Ich fand keine Belege für diese Behauptung, weder beim Verlag, noch auf Jonathan Maberrys Website. Der einzige Hinweis sind Einträge für die Bücher auf Goodreads und ich habe keine Ahnung, woher diese Informationen stammen. Ich werde wohl einfach abwarten müssen, ob sich die Gerüchte bewahrheiten.

 

Louis Chong ist tot. Alle in Sanctuary wissen, dass Benny Imuras bester Freund starb, als er sich infizierte. Nur Benny weigert sich, ihn aufzugeben. Würde nur endlich jemand versuchen, Dr. McReadys Unterlagen oder am besten die Wissenschaftlerin selbst zu finden, könnte das Heilmittel entwickelt werden, das nicht nur Chong, sondern die ganze Welt retten würde. Leider wird Sanctuary von verstockten Soldaten geleitet, denen die Wünsche eines Teenagers nicht das Geringste bedeuten. Benny hält es nicht mehr aus. Begleitet von Nix, Lilah und Riot macht er sich auf eigene Faust auf die Suche nach der letzten Chance, die Chong hat. Draußen im Rot and Ruin müssen sie jedoch feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die sich für McReadys Forschungsergebnisse interessieren. Der psychopathische Saint John und die Mitglieder der Night Church suchen ebenfalls nach dem Heilmittel, das in den falschen Händen zu einer gefährlichen Massenvernichtungswaffe werden könnte. Der Wettlauf um das Schicksal der Menschheit hat begonnen.

 

Wisst ihr, wodurch ich merke, dass mir eine Rezension schwerfällt? Ich merke es, weil ich versuche, mich vor dem Schreiben zu drücken. Plötzlich fallen mir hundert Dinge ein, die ich stattdessen tun könnte. Ich mache mir selbst etwas vor, weil ich zu stur bin, um einfach zuzugeben, dass diese oder jene Rezension eine harte Nuss für mich ist. „Fire & Ash“ ist so ein Fall. Da, jetzt ist es raus, ich bekenne es. Ich kann nur leider überhaupt nicht erklären, wieso. Das (vorläufige) Finale der „Rot & Ruin“ – Reihe ist nicht schlecht. Während der Lektüre empfand ich das Buch als mitreißend wie eh und je und im Anschluss habe ich fleißig Notizen gemacht. Ich war beeindruckt von Jonathan Maberrys überzeugendem wissenschaftlichen Erklärungsansatz für die Natur der Zombieinfektion, der auf mich fundiert recherchiert wirkte. Ich mochte das Motiv der Hoffnung, personifiziert durch Bennys Generation, die Erbe und Schöpfer einer neuen Welt ist. Jetzt sind einige Wochen vergangen und in meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber irgendwie hat dieses Finale trotz bewegter Dramatik wenig bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Vielleicht war die Geschichte doch zu vorhersehbar, denn ich habe nie daran gezweifelt, dass Benny und seine Freunde die Zombie-Postapokalypse überleben werden. Die Frage war lediglich, wie. Vielleicht war es der Schuss des guten, alten, amerikanischen Patriotismus, der meiner Ansicht nach vollkommen überflüssig für die Geschichte war. Vielleicht war „Fire & Ash“ auch einfach etwas arg pathetisch, obwohl ich beim Lesen durchaus das Gefühl hatte, dass mich dieses Pathos berührte. Im Nachhinein hingegen kommt mir Entwicklung, die Benny durchlebt, übertrieben vor. Er erreicht einen Status kühler Klarheit, den ich für unglaubwürdig halte. Ich bezweifle nicht, dass Benny schnell und radikal erwachsen werden musste, doch seine Entfaltung zum idealen Samurai, der eine Kampfsituation und sich selbst gefasst analysieren kann, erscheint mir unrealistisch. Er ist trotz allem ein Teenager. Die positive Seite daran ist jedoch, dass seine Beziehung zu Nix eine für die Young Adult – Literatur recht ungewöhnliche Wendung nimmt, was mir sehr gut gefiel. Unsterbliche Liebe auf den ersten Blick unter extremen Bedingungen war noch nie sehr lebensnah; ich finde es toll, dass Maberry einen anderen Weg wählt, der möglicherweise eine direkte Folge seines vorbildlichen Umgangs mit den Geschlechterrollen ist. Er behandelt Männer und Frauen gleichberechtigt und besonders Bennys Freundinnen beweisen eine Stärke, die alle kruden Ideen der Prinzessin in Nöten im Keim ersticken. Gut, Lilah ging mir fürchterlich auf die Nerven, weil ihre Umgangsformen schlicht inakzeptabel sind, aber nichtsdestotrotz erkenne ich ihre Unabhängigkeit an.

 

Letztendlich weiß ich nicht genau, warum sich „Fire & Ash“ nicht in dem Ausmaß in meinem Gedächtnis festsetzte, das ich erwartet hatte. Es handelt sich definitiv um ein angemessenes Finale und hat viel Positives zu bieten. Der Kampf gegen die Zombies mutierte im Lauf der Reihe zu einem Kampf der Menschheit selbst, gegen religiösen Fanatismus und die drohende Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Jonathan Maberry erfasst die Konflikte, die sich innerhalb seiner beängstigenden Zukunftsvision ergeben, hervorragend und verleiht der gesamten Thematik der Zombie-Postapokalypse überraschenden Tiefgang. Ich kann nicht erklären, wieso mich „Fire & Ash“ nicht nachhaltiger beeindruckte, obwohl es die vielen feinen Nuancen, die Maberry sorgfältig etablierte, zu einem explosiven, dramatischen Abschluss bringt. Ich vermute, dass es mir einen Hauch zu abenteuerlich und inszeniert war, möchte mich darauf aber nicht unumstößlich festlegen. Diese marginalen Schwierigkeiten qualifizieren sich jedoch als Jammern auf hohem Niveau, weshalb ich nicht zögere, euch die Reihe „Rot & Ruin“ trotzdem zu empfehlen. Die Young Adult – Literatur ist so überflutet von flachen, klischeebeladenen, bedeutungsarmen Geschichten, dass jeder Versuch, es anders zu machen, enthusiastisch unterstützt werden sollte. Jonathan Maberry macht es anders und dafür gehören ihm mein Respekt und meine Anerkennung.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/01/jonathan-maberry-fire-ash
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review 2017-03-31 10:15
Vin: Revolutionärin, Superheldin, einzigartiges Schneeflöckchen
Krieger des Feuers - Brandon Sanderson,Michael Siefener

Der Oberste Herrscher ist tot. Die Skaa sind befreit und zum ersten Mal in der langen Geschichte des Letzten Reiches erhält das Volk Selbstbestimmung. Elant Wager arbeitet als neuer Herrscher fieberhaft daran, Freiheit und Gerechtigkeit in den Gesetzen des Reiches zu verankern, unterstützt von der Nebelgeborenen Vin und Kelsiers alter Mannschaft. Leider brachte die Revolution Unsicherheit und Instabilität mit sich. Gierig drängt der Adel in die Lücke, die der Oberste Herrscher hinterließ. Wölfen gleich reißen sie sich um die Macht und bedrohen Luthadel. Kaum ist die neue Ära geboren, müssen Elant und seine Verbündeten sie bereits verteidigen. Doch nicht nur machthungrige Adlige und Armeen bedrängen das Reich. Die Asche fällt immer dichter, der Nebel hält sich länger und länger. Es häufen sich Berichte, dass der Nebel die Menschen krankmacht und in einigen Fällen sogar tötet. Vin lassen die letzten Worte des Obersten Herrschers keine Ruhe: „Indem ihr mich tötet, verdammt ihr euch selbst“. Was hat der alte Tyrann gemeint? Kannte er Geheimnisse, von denen sein Volk nichts ahnt? Die Revolution sollte die Welt verbessern – besiegelte sie stattdessen ihren Untergang?

 

Von „Kinder des Nebels“ war ich enttäuscht. Ein Grund dafür war der Mangel an Hintergrundinformationen. Ich hatte das Gefühl, Brandon Sanderson würde mich absichtlich an der Nase herumführen und äußerst viel zurückhalten. In „Krieger des Feuers“ ist er freigiebiger was die Geschichte des Letzten Reiches betrifft. Demzufolge gefiel mir der zweite Band der „Mistborn“ – Reihe wesentlich besser. Sanderson erklärt, inwiefern die ursprüngliche Prophezeiung die Machtübernahme des Obersten Herrschers direkt bedingte und ermöglichte. Die starren Funktionsweisen des Letzten Reiches unter seiner eisernen Regentschaft schälen sich klarer heraus und verdeutlichen, warum Elant, Vin und ihre Verbündeten große Schwierigkeiten haben, dem Volk die neue Ordnung schmackhaft zu machen. Elant ist ein Idealist, ein Charakter, der sich dem Motto der Französischen Revolution, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, mit glühender Leidenschaft angeschlossen hätte. Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ist liebenswürdig, stellt ihn bezüglich der Zukunft des Reiches jedoch vor arge Probleme. Er versucht, einen krassen Wechsel von Absolutismus zu Demokratie durchzusetzen. Das konnte nicht funktionieren. Ich war beeindruckt, wie realistisch Brandon Sanderson die Folgen des Todes des Obersten Herrschers schildert. Selbstverständlich ist das Volk, Adel wie Skaa gleichermaßen, von Elants Veränderungen verängstigt und verunsichert. Ihre ganze Welt wird auf den Kopf gestellt; alles, woran sie glaubten, hat plötzlich keine Gültigkeit mehr. Selbstbestimmung müssen sie erst erlernen. Sie sind nicht das erste Volk, das auf den Tod seines tyrannischen Diktators kopflos und panisch reagiert, statt die neugewonnene Freiheit zu preisen. Elant braucht lange, um zu verstehen, dass seine Untertanen noch nicht bereit sind, die Demokratie zu umarmen und in dieser Zeit des Wandels einen starken Anführer brauchen, der ihnen Hoffnung und Stabilität vermittelt. Als er es begreift, durchlebt er eine interessante Entwicklung vom Idealisten zum Realisten. Er sieht ein, dass das Beste für das Volk nicht automatisch dem entspricht, was das Volk will. Ich denke, diese Erkenntnis beweist sein Potential zu einer verlässlichen Führungspersönlichkeit, das nicht einmal Kelsier besaß. Kelsier inspirierte die Menschen, doch er war zu egoistisch, um zu führen. Es überraschte mich, dass seiner alten Mannschaft und vor allem Vin Kelsiers negative Eigenschaften und Schwächen durchaus bewusst sind. Ich hätte nicht gedacht, dass sie ihn objektiv beurteilen können und Vin sich keinerlei Illusionen hinsichtlich seines Charakters hingibt. Natürlich vermisst sie ihn dennoch sehr, weil sie sich allein der Aufgabe stellen muss, sich selbst zu finden und zu definieren, wer sie sein möchte. Sie ist deutlich gereift seit „Kinder des Nebels“ und ging mir erfreulicherweise weniger auf die Nerven, obwohl ich ihre persönliche Unsicherheit als anstrengend empfand. Ihre Selbstfindungsmission ist ein existenzieller Baustein von „Krieger des Feuers“, aber deshalb musste Sanderson nicht dauernd wiederholen, dass sie ihre Vergangenheit als Straßenkind, ihre Zeit als Adlige und ihre Identität als Nebelgeborene nicht unter einen Hut bekommt. Ich leide nicht an Vergesslichkeit. Ich muss nicht ständig an ein und denselben Fakt erinnert werden. Außerdem fand ich ihre übermenschlichen Fähigkeiten unglaubwürdig und übertrieben. Vin, die Superheldin, die so viel mächtiger ist als alle anderen Allomanten. Das einzigartige Schneeflöckchen. Könnte ich definieren, warum Vin so unbesiegbar ist, wäre ich vielleicht eher geneigt gewesen, ihre Überlegenheit zu akzeptieren, doch da Sanderson hierauf nicht näher eingeht, ging mir eine Frage nicht aus dem Kopf: wieso ist diese dürre, kleine Person so verdammt mächtig?

 

„Krieger des Feuers“ lag mir definitiv besser als „Kinder des Nebels“. Nicht nur habe ich das Gefühl, nun begriffen zu haben, wieso die Welt, in der die Reihe spielt, so funktioniert, wie sie funktioniert, all das politische Taktieren des zweiten Bandes kam mir auch unbestritten entgegen. Ich empfand ihn als ausgeglichener und erwachsener. Es geht nicht länger darum, die bestehende Ordnung in Brand zu stecken, sondern etwas Neues entstehen zu lassen. Nichtsdestotrotz ist „Krieger des Feuers“ keineswegs langweilig oder trocken. Die Action kommt nicht zu kurz und es warten noch diverse Geheimnisse darauf, im nächsten Band gelüftet zu werden. Ohne zu viel zu verraten: die Prophezeiung ist weniger unschuldig und hoffnungsvoll, als wir bisher angenommen haben. Vielleicht war der Oberste Herrscher nicht der gnadenlose Tyrann, den Kelsier in ihm gesehen hat. Vielleicht ist er gar nicht der wahre Bösewicht der Geschichte.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/03/31/brandon-sanderson-krieger-des-feuers
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