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review 2016-03-16 08:01
Ein absurder Höllenritt in den Unsinn
Voices: The Reincarnation Series (Book 1) - R. E. Rowe

„Voices“ von R.E. Rowe erhielt ich via Netgalley. Anders als sonst musste ich mich für dieses Buch nicht bewerben, da es ein „Read Now“ – Exemplar ist, das ich auf meinen Kindle laden konnte, ohne die Bestätigung des Verlages abzuwarten. Ich weiß nicht, wieso einige Bücher sozusagen verschenkt werden, während andere eine Bewerbung verlangen. Vermutlich liegt dieser Strategie eine spezielle Vereinbarung zwischen Verlag, Autor_in und Netgalley zugrunde. Für neue Autor_innen ist das vielleicht eine praktikable Möglichkeit, etwas Bekanntheit zu erlangen, denn welcher Bücherwurm kann gratis Literatur schon widerstehen? Bezüglich R.E. Rowe hat das für mich auf jeden Fall funktioniert, schließlich kannte ich diesen Autor nicht, bis ich „Voices“ bei Netgalley entdeckte.

 

43 Minuten. So lange war Aimee klinisch tot. Ihre Nahtoderfahrung veränderte ihr Leben. Was ihr einst wichtig war, erscheint ihr nun unbedeutend und klein, denn seit ihrem Herzstillstand verfügt sie über eine fantastische, aber erschreckende Fähigkeit: sie kann die Gefühle und Energien der Menschen um sie herum wahrnehmen. Meist überwältigen sie die Empfindungen der anderen, weshalb sie den Kontakt meidet und sich zurückzieht. Bis sie Reizo kennenlernt. Reizos Energie fasziniert sie, obwohl er selbst ein Außenseiter ist. Er leidet unter Schizophrenie, hört Stimmen und gerät dadurch oft in Schwierigkeiten. Sie spüren sie sofort, dass sie etwas verbindet und finden heraus, dass ihre Familien auf eine fast vergessene, gemeinsame Vergangenheit zurückblicken. Doch als sie in einem Sturmkeller ein altes Testament entdecken, geraten sie in einen Strudel der Gewalt, der ihre junge Liebe auf die Probe stellt. Werden Aimee und Reizo auch im Angesicht höchster Gefahr zueinanderstehen?

 

Ich sage euch, was ich von „Voices“ halte: es ist sinnloser, übertriebener, unzusammenhängender Quatsch. Lasst die Finger davon. Ich erläutere euch sofort, wie dieses vernichtende Urteil zu Stande kommt, doch vorher sehe ich es als meine Pflicht an, euch vor Spoilern in dieser Rezension zu warnen. Ich werde inhaltliche Details verraten. Meiner Meinung nach spielt das allerdings überhaupt keine Rolle, denn wenn es nach mir geht, werdet ihr „Voices“ niemals lesen.
Erstaunlicherweise beginnt das Buch ganz nett. Die erste Hälfte ist zart und lieblich; ich lernte Aimee und Reizo kennen, aus deren jeweiliger Perspektive die Geschichte abwechselnd erzählt wird. Aimee ist ein sanftes Mädchen, deren überraschender Herzinfarkt ihre Karriere als Starläuferin ihrer High-School beendete. Sie war gezwungen, die Laufschuhe an den Nagel zu hängen. Dadurch stellte sie allerdings fest, dass sie ein beachtliches künstlerisches Talent besitzt. Die Kunst ist der Auslöser für ihre Freundschaft mit Reizo. Dieser ist ein berühmt-berüchtigter Straßenkünstler, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Welt etwas mehr Farbe zu verleihen. Dafür ist er sogar bereit, die Stimmen in seinem Kopf zu akzeptieren. Seine Schizophrenie wäre medikamentös behandelbar, nur dämpfen die Medikamente sein Talent. Nimmt er sie ein, kann er nicht zeichnen, also verzichtet er darauf. Natürlich ohne das Wissen seiner Mutter oder seines Arztes. Ich kann nicht sagen, ob Reizos Beziehung zu den beiden Stimmen, die er tagein, tagaus hört, realistisch dargestellt ist. Es ist sehr schwer, sich in seine Lage zu versetzen, weil sich ein gesunder Mensch wohl kaum vorstellen kann, wie es ist, wenn man mit den eigenen Gedanken nicht allein ist. Die Stimmen selbst erschienen mir jedoch nicht „normal“. Ich glaube, sie gehören zur übergeordneten Handlung der Reihe, denn R.E. Rowe lässt sie ein paar Andeutungen machen, die sie mit den kurzen Zwischenkapiteln des Buches in Verbindung bringen. Diese zeigen eine Art PC-Log, das die Befehle einer unbekannten Person protokolliert und sind absolut unverständlich. R.E. Rowe erklärt weder ihren Wert für die Handlung, noch erläutert er, was dort überhaupt zu sehen ist. Meiner Meinung nach sind sie daher völlig überflüssig. Diese Zwischenkapitel sind jedoch lediglich der Anfang vom Ende. Ab der zweiten Hälfte gingen aus irgendeinem Grund sämtliche Pferde und Zebras mit Rowe durch. Was als süße, mysteriöse Geschichte einer aufblühenden Liebe begann, entwickelte sich rasant zu einem absurden Höllenritt in den Unsinn. Das Testament, das unser Pärchen in dem Sturmkeller findet, ist der letzte Wille eines Vorfahren von Reizo, der den Landbesitz ihrer Stadt umverteilt. Selbstverständlich gibt es Leute, denen das überhaupt nicht in den Kram passt. Diese Leute sind – und jetzt kommt’s – Teil der russischen Mafia. Die Russenmafia. Ich wollte meinen Augen kaum trauen. Wie kam Rowe nur auf diese abwegige, lächerliche Idee? Ich dachte, es sollte in dem Roman um Reinkarnation gehen, denn schließlich heißt die Reihe „Reincarnation“, doch stattdessen ging es plötzlich um Drogen, Waffen und lebensbedrohliche Situationen. Knall auf Fall drehte sich die Geschichte um 180 Grad, wurde unrealistisch, heftig, krass und abgedreht. Möglicherweise dachte R.E. Rowe, seine Handlung vertrüge einen Actionkick – eine kolossale Fehleinschätzung meiner Meinung nach. Ich hätte diese Wandlung nie und nimmer gebraucht, ganz im Gegenteil, mir gefiel die ruhige, behutsame Aura der Geschichte. Was hat sich der Autor nur dabei gedacht? Was hat er seiner Geschichte angetan? Mir fehlen die Worte, um meine Enttäuschung und Entrüstung angemessen zu beschreiben.

 

Ich glaube, mir ist noch kein Buch untergekommen, das dermaßen gespalten ist wie „Voices“ von R.E. Rowe. Die Handlung der zweiten Hälfte steht in keinerlei logischem Zusammenhang mit der ersten Hälfte, fast, als gehörten sie zu zwei unterschiedlichen Geschichten. „Voices“ ist katastrophal unausgeglichen und ich muss euch wirklich vehement davon abraten, es zu lesen. Mit solchem Quatsch verschwendet ihr nur eure kostbare Lesezeit.

 

Vielen Dank an Netgalley und Tree Lovers Press für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplar im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/03/16/r-e-rowe-voices
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review 2015-12-23 09:12
Die Tränen flossen in Strömen
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin - Lilly Lindner

Lilly Lindner wurde berühmt durch die Veröffentlichung ihrer Biografie „Splitterfasernackt“ im Jahre 2011. Zugegebenermaßen ist dieses Buch an mir völlig vorbeigegangen. Der Name Lilly Lindner schob sich erst in mein Bewusstsein, als ihr neuster Roman „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ durch die Blogs tingelte und in höchsten Tönen gelobt wurde. Die Begeisterung der Blogger_innen war so groß, dass ich entschied, es lesen zu wollen, obwohl ich Bücher zum Thema psychische Erkrankungen mittlerweile eher meide. Was mich überzeugte, war, dass es sich bei diesem Buch um einen Briefroman handelt und Lindner die Perspektive einer Angehörigen einnimmt.

 

Für die 9-jährige Phoebe ist ihre große Schwester das Zentrum ihrer Welt. Niemand versteht sie so wie April. Doch nun ist April fort. Ihre Eltern haben sie in eine Klinik gebracht, weil sie krank ist. Phoebe versteht nicht, was Magersucht eigentlich bedeutet, aber sie spürt sehr genau, dass die Krankheit ihre Familie zerreißt. Allein mit Millionen Fragen tut sie das einzige, das ihr einfällt, um mit der Sehnsucht nach ihrer Schwester fertig zu werden: sie schreibt April Briefe. Obwohl sie niemals eine Antwort erhält, schickt sie fast täglich Worte hinaus in die Stille. Denn nur die Worte ermöglichen es Phoebe, die Leere, die April hinterlassen hat, einen kurzen Moment zu ertragen.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist das emotionalste Buch, das ich 2015 gelesen habe. Lilly Lindner ist eine beeindruckend talentierte Schriftstellerin, die eine extreme Nähe zu ihren Figuren erzeugt und auf diese Weise eine starke emotionale Resonanz provoziert. Ich konnte gar nicht verhindern, dass die Tränen in Strömen flossen. Es tat einfach so weh, diese Briefe zu lesen. Die Geschichte der beiden Schwestern hat mir wieder und wieder das Herz gebrochen. Ich wusste bereits vorher, dass Lindner nicht nur Phoebe eine Stimme verleiht, sondern auch April, doch darauf, wie intensiv ihre Verbindung ist und wie sehr sie einander in ihrer dysfunktionalen Familie brauchen, war ich nicht vorbereitet. Die beiden Mädchen sind hochintelligent und zutiefst missverstanden. Ihre Eltern sind von ihrer Intelligenz so eingeschüchtert, dass sie sie wie eine Krankheit behandeln. Sie sind überfordert und beschneiden die Kreativität ihrer Töchter, statt Phoebe und April angemessen zu fördern. Sie erwarten von ihnen, dass sie sich wie „normale“ Kinder verhalten. April ist unter dem Druck, ihren Erwartungen gerecht werden zu müssen, zerbrochen. Ihre Magersucht ist ein verzweifelter, stummer Hilferuf, den ihre Eltern sich meiner Meinung nach schlicht weigern zu sehen. Sie interessieren sich nicht dafür, warum April nicht isst und verschwenden ihre Zeit lieber mit fruchtlosen Anschuldigungen. Dabei ist ihre Art, April zu behandeln, nur ein Ausdruck ihrer eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht. Sie wissen nicht, wie sie auf ihre Tochter eingehen sollen und reagieren deshalb mit Wut. Sie stellen die falschen Fragen – wie könnte April ihnen einleuchtende Antworten geben? Phoebe ist die einzige, die April erreicht, doch Phoebe ist ein Kind. Weder ist es ihre Aufgabe, April zu retten, noch ist sie stark genug, das volle Gewicht von Aprils Traurigkeit zu tragen.
„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist ein großartiges Buch, das mich emotional sehr mitgenommen hat, alle Dämme in mir brach und definitiv eine hohe Wertung verdient. Dennoch bin ich froh, dass zwischen dem Lesen und dieser Rezension etwa zwei Wochen lagen, in denen ich Zeit und den nötigen Abstand erhielt, diese gefühlvolle Geschichte objektiv zu betrachten. Je länger ich das Buch gedanklich sezierte, desto deutlicher wurde, dass mich aller Betroffenheit zum Trotz irgendetwas störte. Ich musste tief in mich gehen, um herauszufinden, über welche Kante ich immer wieder stolperte. Mein Problem mit „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist folgendes: ich sollte heulen. Ich hatte keine andere Wahl, als Mitleid mit Phoebe und April zu haben und Wut für ihre Eltern zu empfinden. Ich fühle mich von Lilly Lindner emotional manipuliert. Das Buch drückt absichtlich und wenig subtil auf die Tränendrüse. Es gestand mir sehr wenig Raum für eigene Gedanken und Gefühle zu; stattdessen habe ich vermutlich genau und ausschließlich das empfunden, was Lilly Linder von mir erwartete. Ich fühlte mich seelisch in eine Ecke gedrängt, als würde mich Lindner zwingen, so und nicht anders zu empfinden. Meines Erachtens nach hat sie deswegen auch darauf verzichtet, die hässliche, psychische Fratze der Anorexia nervosa zu zeigen. All der Zorn und die Zerrissenheit, die ich von einem magersüchtigen Teenager erwarten würde, fehlen April. Da ist kein Selbsthass, kein Selbstekel, keine einzige Empfindung, die für Leser_innen potentiell unverständlich sein könnten, sodass die Sympathie für sie ungetrübt bleibt. Ich verstehe zwar, warum es Lindner wichtig war, dass April in einem positiven Licht erscheint, doch ich fand das Bild des armen, missverstandenen, lieben Mädchens ohne Fehl und Tadel etwas einseitig und nicht völlig glaubhaft.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ habe ich auf verschiedenen Ebenen meines Ichs unterschiedlich wahrgenommen. Emotional war dieses Buch ungeheuer verstörend; intellektuell fielen mir ein paar kleine Makel auf. Trotz dessen ist es für mich nicht im Geringsten schwierig, eine Bewertung festzulegen, denn die Gefühlsebene ist der objektiven, analytischen Ebene gegenüber immer dominant. Wenn mich ein Buch so zum Weinen bringt wie dieses, muss sich das einfach in der Anzahl der Sterne niederschlagen.
Solltet ihr mit dem Gedanken spielen, „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ zu lesen, muss euch klar sein, dass das kein Spaziergang wird. Es wird weh tun. Es wird euch aber auch eine Krankheit näherbringen, die bis heute stigmatisiert und tabuisiert wird.
Ich für meinen Teil nehme aus diesem Buch vor allem eines mit: tiefe Dankbarkeit für meine wundervolle, unterstützende Familie.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/23/lilly-linder-was-fehlt-wenn-ich-verschwunden-bin
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