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review 2019-09-17 10:52
Der zauberhafte Abschluss eines modernen Märchens
Winter - Marissa Meyer

„Winter“ ist der finale Band der „Lunar Chronicles“ und eine Adaption von „Schneewittchen“. Dabei war Prinzessin Winter, Marissa Meyers dunkelhäutige Version des Schneewittchens, ursprünglich nur als Nebenrolle gedacht. Meyer wollte sich eigentlich auf Levana als böse Königin und Jacin als Jäger konzentrieren. Doch je weiter die Reihe voranschritt, desto nachdrücklicher verlangte Winters außergewöhnlicher Charakter die Aufmerksamkeit der Autorin. Sie wuchs mit der Geschichte, bis sie zu faszinierend war, um sie zu ignorieren. So ergatterte die junge, bildschöne Prinzessin noch im letzten Band eine Hauptrolle – neben Cinder, Scarlet und Cress.

 

Königin Levana muss fallen. Niemals wird sie ihre Pläne, die Herrschaft über die Erde an sich zu reißen, aufgeben. Niemals wird sie Lunas Volk aus ihrem eisernen Griff entlassen. Cinder und ihre Freunde müssen sie aufhalten, bevor sie ihre skrupellosen Absichten in die Tat umsetzen kann. Ihnen bleibt nur eine Option: sie müssen nach Luna gelangen, um dort Cinders wahre Identität als rechtmäßige Thronerbin zu offenbaren. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Artemisia werden sie von den Thaumaturgen der Königin entdeckt. Im anschließenden Chaos wird die Crew der Rampion getrennt. Während Cinder, Thorne, Wolf und Iko in die Außenbezirke fliehen können, muss sich Cress im Palast mitten unter Feinden verstecken. Gerade, als sie glaubt, alles sei verloren, erhält sie unerwartet Hilfe. Levanas ungeliebte Stieftochter Prinzessin Winter und ihr Leibwächter Jacin verbergen sie vor den Augen der Königin und ihrer Schergen. Winters Schönheit, ihre Großzügigkeit und Freundlichkeit sind legendär. Aber man erzählt sich auch, dass Winter verrückt ist. Kann sie Cinder und ihre Freunde dennoch dabei unterstützen, eine Revolution auszulösen, die Levana endgültig zu stürzen vermag?

 

Ich glühe. Aus meinem Herzen strahlen Wärme und aufrichtige Liebe. Ich wusste ja, dass Marissa Meyer Talent besitzt, aber mit der emotionalen Wirkung, die „Winter“ auf mich hatte, hätte ich trotz dessen niemals gerechnet. Sie hat sich selbst übertroffen. Das Buch ist wundervoll und enthält alles, das ich mir unbewusst für das Finale der „Lunar Chronicles“ wünschte: eine aufregende, spannende Handlung, die alle Elemente plausibel vollendet und eine ansteckende Revolution fokussiert; Herausforderungen für die Charaktere, die diese überzeugend und mitreißend bewältigen und die respektvolle Adaption eines alten Märchens, die den Spagat zwischen Moderne und Klassik meistert, ohne die Originalität der Geschichte zu behindern. Es ist garantiert nicht einfach, im letzten Band einer Reihe eine neue Protagonistin vorzustellen und sie als gleichwertig zu etablieren, wenn alle anderen Figuren längst einen Vorsprung haben. Es sollte mich eigentlich nicht überraschen, dass es Meyer in „Winter“ dennoch gelang, Prinzessin Winter homogen in die Handlung der „Lunar Chronicles“ einzuarbeiten, schließlich lobe ich die Autorin seit drei Bänden dafür, dass sie ihr Universum ständig erweitert und ausbaut, aber meine uneingeschränkte Bereitschaft, Winter in meine Arme zu schließen, erstaunte mich. Natürlich half es, dass mir der Zwischenband „Fairest“, den ich nun umso mehr als wertvolle Ergänzung betrachte, bereits eine Ahnung von der komplexen, belasteten Beziehung zwischen Winter und Königin Levana vermittelte, doch ich war überwältigt davon, wie leicht es ist, die bildschöne Prinzessin trotz ihrer mentalen Instabilität und ihren daraus resultierenden Verrücktheiten zu mögen. Winter verkörpert den Geist von „Schneewittchen“ hervorragend, die Unschuld, Naivität und Liebeswürdigkeit des Märchens, wirkt durch ihre persönliche, tragische Biografie allerdings nicht austauschbar oder stereotyp. Sie ist lebendig und ich liebte es, ihre unkonventionellen Gedankengänge zu beobachten. Meyers Idee, sie im Verlauf von „Winter“ außerdem mit Scarlet zusammenzustecken, die zu Beginn des Buches noch immer in Artemisia gefangen ist, verdient Applaus. Ich kann mir kein passenderes Duo vorstellen, weil sie einander bemerkenswert ergänzen. Grundsätzlich ist die Dynamik der Figuren dieser Reihe eine Sensation, die in diesem Finale ihren Höhepunkt erreicht. In Märchen ist die Liebesgeschichte zwischen Prinz und Prinzessin oft zentral – ich schätze es unheimlich, dass dieser Aspekt in den „Lunar Chronicles“ zwar ebenfalls wichtig ist und sogar die verkümmerte kleine Romantikerin in mir ansprach, aber die Handlung selten essenziell beeinflusst. Unsere Heldinnen treffen stets vernünftige Entscheidungen, die auf der vorliegenden Sachlage basieren. Sie sind nicht verblendet oder schwächer aufgrund ihrer Gefühle, sie schöpfen Stärke aus ihnen. Ich empfinde das als empowering und freue mich über das emanzipierte, realistische Frauenbild, das Meyer ihren Leser_innen bietet. Könnte nur jeder Young Adult – Roman so sein.

 

„Winter“ ist ein Finale, das diese Bezeichnung wirklich verdient. Es ist nicht einfach eine weitere Geschichte im Universum der „Lunar Chronicles“, sondern die Summe aller vorangegangenen Bände, ihre Fortsetzung und logische Konsequenz. Ich bin sehr glücklich, dass Marissa Meyer das moderne Märchen, das in „Cinder“ begann, mit diesem Abschluss ordentlich ausklingen lässt. Ein abrupter Abbruch hätte alles, was sie bis dahin leistete und ihren Figuren abverlangte, geschmälert. Sie behandelt ihre Held_innen anständig und fair und gesteht ihnen die Chance zu, wahrhaft über sich hinauszuwachsen. Deshalb fand ich „Winter“ fabelhaft und rührend. Es ist ein zauberhaftes Ende, das mir den Abschied ungemein erleichterte, weil es mich sowohl emotional als auch intellektuell befriedigte. Ich bin sonst sehr geizig mit 5-Sterne-Bewertungen, aber in diesem Fall musste ich die Höchstwertung auspacken. Marissa Meyer verdient diese Ehrung und darüber hinaus einen festen, dauerhaften Platz in meinem Bücherregal.

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review 2019-06-11 08:09
Niemand wird böse geboren
Fairest - Marissa Meyer

Als Marissa Meyer begann, die „Lunar Chronicles“ zu schreiben, wusste sie, dass die zentrale Antagonistin ihrer Geschichte auf der bösen Königin aus „Schneewittchen“ basieren würde. Ihre Figur faszinierte sie. Welche Frau würde so großen Wert auf Schönheit legen, dass sie bereit wäre, all diese furchtbaren Dinge zu tun? Was müsste dieser Frau zugestoßen sein, um diese Skrupellosigkeit zu entwickeln? Meyer gab ihrer bösen Königin den Namen Levana. Sie konzipierte ihre Biografie mental parallel zu den Heldinnen ihrer Reihe, stieß mit dieser Taktik jedoch an eine Grenze, als sie den letzten Band „Winter“ schrieb. Einige Szenen bereiteten ihr Schwierigkeiten. All diese Szenen hatten eines gemeinsam: sie drehten sich um Levana. Um ihre Blockade aufzulösen, entschied die Autorin, Levanas Hintergrundgeschichte auszuformulieren. Das Ergebnis ist der Zwischenband „Fairest“, den man laut Meyer nicht zwangsläufig zwischen „Cress“ und „Winter“ lesen muss, der allerdings gewisse Entwicklungen in „Winter“ verständlicher gestaltet. Ich hielt mich an Meyers Empfehlung und las „Fairest“ nach „Cress“.

 

Cinder und ihre Verbündeten kennen Königin Levana als skrupellose, kaltherzige Herrscherin des Reiches Luna. Doch einst war sie ein junges Mädchen voller Hoffnungen und Träume. Am Hofe Lunas war sie unsichtbar. Sie wollte geliebt werden, sehnte sich nach Aufmerksamkeit und Respekt. Sie wurden ihr verwehrt. Ihre Einsamkeit vergiftete ihre Seele, bis sie vor nichts mehr zurückschreckte, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Dies ist ihre Geschichte, eine Geschichte voller Tragik und Leid. Denn niemand wird als böse Königin geboren.

 

Ich bin sehr froh, dass Marissa Meyer „Fairest“ schrieb und veröffentlichte. Meiner Meinung nach ist es der bisher beste Band der „Lunar Chronicles“ und eine wertvolle Ergänzung der Reihe, die mein Verständnis der Ereignisse vertiefte und Königin Levana in ein anderes Licht rückte, weg von der einseitigen Darstellung als ultrafiese Antagonistin. Levanas Biografie ist eine Tragödie voll enttäuschter Liebe und traumatischer Erfahrungen, die mein Mitgefühl weckte und ihre Motivationen nachvollziehbar und einfühlsam enthüllte. Sie ist garantiert kein Unschuldslamm und trifft egoistische und oft schlicht grausame Entscheidungen, aber nicht, weil sie von Geburt an eine schlechte Person wäre, sondern weil sie einsam, zornig und bedauernswert unglücklich ist. Sie wurde emotional verkrüppelt und rutschte langsam in ihren ganz persönlichen Wahnsinn hinab, der sie jede abscheuliche Tat vor sich selbst rechtfertigen lässt. Ich fand es erstaunlich, dass sie angesichts der Schwere der psychischen Verletzungen, die ihr seit frühester Kindheit zugefügt wurden, überhaupt zu einer einigermaßen verträglichen Persönlichkeit heranwuchs. Es hätte noch viel schlimmer kommen können, denn Levana hatte niemals ein positives Vorbild, keinerlei Orientierung, die sie den Unterschied zwischen Richtig und Falsch lehrte. Das ist einerseits ein Versäumnis ihrer dysfunktionalen Familie, andererseits eine Folge der gesellschaftlichen Umstände auf Luna. Meyer bietet mit „Fairest“ nicht nur ein überzeugendes Porträt von Levana, sie gewährt ihren Leser_innen darüber hinaus intime Einblicke in Lunas soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen. Das Königreich des Mondes ist eine klassische, totalitäre Monarchie, die sich klar in eine Elite und das gemeine Volk teilt. Lunas Hof vermittelt eine entschieden barocke Atmosphäre; Protz und Prunk beherrschen das Bild und der Adel vertreibt sich die Zeit mit komplizierten Intrigen. Echtes politisches Interesse ist rar gesät, weshalb ich geschockt war, dass sich Levana tatsächlich als gute Königin entpuppt, die sich aufrichtig um das Wohl Lunas sorgt. Es wäre allerdings ein Fehler, anzunehmen, dass ihre Bemühungen die Nöte ihrer Untergebenen berücksichtigen würden. Levana begreift ihr Reich nicht als Gesamtheit ihres Volkes, sondern als abstrakte Idee und Verlängerung ihres Ichs. Deshalb ist es für sie keineswegs problematisch, Erlasse zu realisieren, die herzlos wirken. Ihre oberste Priorität besteht darin, Luna als Nation voranzubringen und aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Erde zu führen. Aus dieser Perspektive betrachtet und unter Einbeziehung ihrer kulturellen Prägung sind die meisten ihrer politischen Entscheidungen vollkommen logisch und naheliegend. Dennoch hat ihr Plan, die Erde zu kontrollieren, überraschend wenig mit politischem Kalkül zu tun. Nein, darin zeigt sich das verzweifelte kleine Mädchen, das Levana in ihrem Inneren noch immer ist und ihre zunehmende Distanz zur Realität. Ach, was hätte aus ihr werden können, wäre all ihr Potential nicht in Negativität gelenkt worden?

 

Ich glaube, Marissa Meyer und ich haben etwas gemeinsam: wir haben ein Herz für böse Königinnen. Meiner Ansicht nach muss sie Levana trotz ihrer Fehler wahrhaft lieben, sonst hätte sie „Fairest“ nicht schreiben können. In diesem Zwischenband erstellt sie ein glaubhaftes, fundiertes psychologisches Profil, das nachdrücklich Empathie für eine Figur einfordert, die bisher sicherlich keine Sympathieträgerin war. Sie diktiert ihren Leser_innen nicht, wie sie für Levana zu empfinden haben, sie ruft uns lediglich ins Gedächtnis, dass niemand böse geboren wird. Levana ist das Produkt einer Vielzahl verstörender Erlebnisse, die nicht spurlos an ihr vorbeigingen. Ich habe sehr viel über sie gelernt und war fasziniert davon, wie sie sich selbst sieht. Obwohl „Fairest“ streng genommen nicht zur Geschichte der „Lunar Chronicles“ zählt, kann ich euch nur empfehlen, nicht auf die Lektüre zu verzichten. Es ist ein leuchtendes Stück Young Adult – Literatur, ein Buch, das sich nicht nur im Rahmen der Reihe lohnt, sondern auch für sich selbst. Viele Autor_innen können liebenswerte Figuren konzipieren – nur wenige können Figuren erschaffen, die man nicht mögen muss, um sie zu verstehen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/11/marissa-meyer-fairest
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review 2019-06-04 09:46
Das wahre Abenteuer ist Vasjas Wachstum
The Winter of the Witch - Katherine Arden

Nach dem College lebte die Autorin Katherine Arden drei Jahre in Vermont und zwei Jahre in Moskau. Kein Wunder, dass sie irgendwann genug von kalten Temperaturen hatte. Sie zog nach Hawaii, arbeitete auf einer Farm und wohnte in einem Zelt am Strand. Eine Farm weiter lebte ein 5-jähriges Mädchen. Sie hieß Vasilisa und war der letzte Funken Inspiration, der Arden fehlte, um endlich das Buch zu schreiben, das ihr im Kopf herumspukte. Dort, unter Palmen, entwickelte sie die Idee für die „Winternight Trilogy“ – die Ironie blieb ihr sicher nicht verborgen. Die ersten beiden Bände „The Bear and the Nightingale“ und „The Girl in the Tower” erschienen 2017 recht kurz nacheinander. Auf das Finale „The Winter of the Witch“ mussten Leser_innen, mich eingeschlossen, länger warten. Es erschien im Januar 2019.

 

Der Bär ist frei. Alle Mühen, die Vasja auf sich nahm, um seinen Einfluss auf die Sterblichen zu schwächen, sind vergebens, solange seine Einflüsterungen die Herzen der Menschen verführen. Er muss wieder angekettet werden, bevor er seine finsteren Pläne in die Tat umsetzen kann. Allein wird es Vasja nicht gelingen. Erneut braucht sie die Hilfe des Winterkönigs. Leider zahlte Morozko einen hohen Preis dafür, dass er Vasjas Leben rettete – erst in dem Flammenmeer, das Moskau zu verschlingen drohte, dann vor dem wütenden Mob, der sie als Hexe brennen sehen wollte. Er wurde im süßen Vergessen seiner Vergangenheit eingesperrt. Vasja muss ihn erwecken. Ihre Magie öffnet ihr die Pforte zu einem Ort, an dem weder Zeit noch Raum existieren. In Mitternacht lüftet sie das Geheimnis ihrer Wurzeln und findet unerwartete Verbündete. Doch ihr größter Kampf steht ihr noch bevor. Das Schicksal ihres Volkes ruht auf ihren Schultern. Wird sie sich dieser Bürde als würdig erweisen?

 

Ich lernte Vasilisa Petrovna am Tag ihrer Geburt kennen. Ich sah sie aufwachsen; von einem frechen, ungestümen Mädchen zu einer leidenschaftlichen, mutigen jungen Frau reifen. In „The Winter of the Witch“ überschreitet diese junge Frau die Schwelle zum Erwachsensein. Diese persönliche Entwicklung der Protagonistin ist meiner Ansicht nach das wahre Abenteuer der „Winternight Trilogy“. All die Magie, all die Prüfungen, die Vasja meistern musste, dienten als Meilensteine, die sie auf die Ereignisse des finalen Bandes der Trilogie vorbereiteten und sie letztendlich dazu befähigen, sich selbst zu akzeptieren und ihrer Rolle als Heldin gerecht zu werden. Deshalb empfinde ich „The Winter of the Witch“ als würdigen Abschluss ihrer Geschichte. Es ist ein düsteres Finale, das Vasja ihrer kindlichen Unschuld beraubt, sie allerdings auch lehrt, das Wesen der Welt anzunehmen und zu verstehen, dass Dualität eine simplifizierende Illusion ist. Die Realität besteht aus Grautönen und Ambivalenz lebt in uns allen. Gut und Böse bedingen einander. Diese Wechselwirkung verkörpern der Bär und der Winterkönig. Einzeln erscheinen sie wie gegensätzliche Pole – doch zusammen ergänzen sie sich. Sie sind eins, die zwei Gesichter der Menschheit: Chaos und Zerstörung, Güte und Liebe. Darum erzeugen beide Märchengestalten eine Resonanz in Vasja. Um ihre Identität zu entwickeln und ihr Volk zu schützen, muss sie beide Facetten als Teil ihrer selbst umarmen. Erkennt ihr, wie viel philosophische Tiefe folglich in „The Winter of the Witch“ verborgen ist? Der Trilogieabschluss qualifiziert sich erneut zweifellos als Märchen. Katherine Arden überzeugte mich mit der bezaubernden, träumerischen Atmosphäre des Buches, die sich vor allem in Mitternacht entfaltet. Mitternacht ist das atemberaubende Reich der Lady Mitternacht, ein magisches, beängstigendes Land, in dem Morozko in einer Blase der Vergangenheit gefangen ist. Vasja muss ihn finden und seine Erinnerungen entzünden. Es überraschte mich, dass sie während dieser Mission beiläufig das Geheimnis ihrer Herkunft lüftet. Ich hatte angenommen, dass dies der Kern des dritten Bandes sein würde. Ich kämpfte etwas mit der daraus resultierenden enttäuschten Erwartungshaltung, bin mittlerweile jedoch der Meinung, dass ihre Wurzeln absichtlich eine kleine Rolle spielen. Vasja ist wie sie ist aufgrund ihrer Erfahrungen, nicht aufgrund ihrer Vorfahren. Ardens Entscheidung, ihre Wurzeln lediglich als Nebenhandlungslinie zu thematisieren, unterstützt den Fokus auf ihre Entwicklung. So sehr mich Vasjas Wachstum begeistert, ich muss gestehen, dass der inhaltliche Verlauf von „The Winter of the Witch“ nicht mehr dieselbe mühelose Eleganz aufweist wie die Vorgängerbände. Ich fand es unruhig getaktet; es ist ein ständiges Hin und Her, in dem die Protagonistin von A nach B und wieder zurück reist. Dennoch mochte ich den Höhepunkt, die finale Schlacht, die ein wundervolles Symbol für das zukünftig vereinte Russland darstellt – in spiritueller wie in physischer Hinsicht.

 

Direkt nach der Lektüre von „The Winter of the Witch“ stellte ich widerstrebend fest, dass ich nicht denselben Zauber empfunden hatte. Ich schämte mich fast ein bisschen. Ich vermutete erst, es läge daran, dass ich Katherine Ardens Setting bereits kannte und wenig Raum für Überraschungen übriggeblieben war. Nun habe ich das Buch fröhlich seziert und entwickelte eine andere Theorie. Ich glaube, das Finale der „Winternight Trilogy“ konnte gar nicht denselben Zauber erzeugen. In diesem Buch geht es um das endgültige Erwachsenwerden der Protagonistin. Erwachsen zu sein bedeutet, kindliche Fantasien hinter sich zu lassen und die Welt so zu sehen, wie sie ist, sich Verpflichtungen zu stellen und das Richtige zu tun. Zauber hat da keinen Platz. Ich denke, das ist es, was Katherine Arden illustrieren wollte: die Verluste und Gewinne des Heranwachsens. Daher habe ich meine Bewertung von „The Winter of the Witch“ nachträglich hochgestuft. Arden mag mich nicht mehr im gleichen Maße bezaubert haben, doch dafür zeigte sie mir ihr ganzes Talent als Autorin. Sie schenkte mir ein fabelhaftes, reifes Buch voller Weisheit.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/04/katherine-arden-the-winter-of-the-witch
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review 2018-08-28 10:50
Wut und Negativität
The Skull Throne - Peter V. Brett

Sie fielen tief. Als ihr Duell auf Leben und Tod seinen Höhepunkt erreichte, stürzte der Tätowierte Mann Arlen Bales sich selbst und seinen Gegner Ahmann Jardir, selbsternannter Shar’Dama Ka, in den Abgrund. Doch ihr Sturz war kein Zufall, kein Akt der Verzweiflung. Arlen braucht Jardir. Er verfolgt einen wahnwitzigen Plan, um den Krieg gegen die Dämonen ein für alle Mal zu beenden. Er glaubt, dass sie ihre Streitigkeiten beilegen müssen, um wie früher mit vereinten Kräften zu kämpfen. Können Arlen und Jardir Jahre der Enttäuschung und des Grolls im Namen der Menschheit hinter sich lassen?
Unterdessen versinken die Völker Krasias und des Nordens im Chaos. Erbitterte Machtkämpfe destabilisieren den zerbrechlichen Frieden. Krasia steht am Rande eines Bürgerkriegs um den Schädelthron, den vielleicht nicht einmal Jardirs durchtriebene Ehefrau Inevera verhindern kann. Im Norden bemühen sich Leesha und Rojer, die Herzogtümer Angiers und Miln zur Einigkeit zu bewegen, aber als Jardirs ältester Sohn mit seinen Truppen in Lakton einfällt, verhärten sich die Fronten. Von der Hitze des Krieges überwältigt drohen die Völker zu vergessen, wer ihr wahrer Feind ist…

 

Menschen sind dumm. Ich weiß, kein sehr positiver Ansatz für den Beginn einer Rezension, aber ich habe das dringende Bedürfnis, meinem Verdruss Luft zu machen. Ich ärgere mich maßlos über die niederschmetternd realistischen Entwicklungen, die uns Peter V. Brett im vierten Band des „Demon Cycle“, „The Skull Throne“, präsentiert. Wie kann man nur so dämlich sein, sich auf interne Kämpfe um Macht und Einfluss einzulassen, wenn Dämonen an die Tür klopfen? Arlen und Jardir werden nicht grundlos „Einiger“ genannt. Ohne ihre Autorität bricht die oberflächliche Einigkeit ihrer Völker zusammen und die schwelenden Konflikte eskalieren. Sie verkennen die Bedrohlichkeit der Situation, zeigen einen beschämenden Unwillen zur Veränderung und weigern sich, zurückzustecken, um zusammenzuarbeiten. Es ist zum Haare raufen. Ich wollte eingreifen und den Figuren Verstand einbläuen. Während sich die politische Elite um die Thronfolge in Krasia und um die Vorherrschaft über die Herzogtümer im Norden prügelt, leidet das einfache Volk unter ihren Entscheidungen. Peter V. Brett involvierte zwei neue Blickwinkel, die die Auswirkungen des Machtgerangels aus der Froschperspektive zeigen: die Sharum’ting Ashia und den jungen Spion Briar. Ich mochte beide gern, für Ashia schlägt mein feministisches Herz allerdings ein wenig lauter. Als weibliche Krieger sind die Sharum’ting im strikten Patriarchat Krasias eine revolutionäre Neuheit, die Inevera anstieß. Sie begründete diese Kaste nicht uneigennützig, erwies den Frauen ihres Volkes damit jedoch einen unschätzbaren Dienst. Zum ersten Mal in der jahrtausendealten Geschichte Krasias können Frauen durch die Tötung eines Dämons die gleichen Rechte wie Männer einfordern. Leider ist die äußerst konservative, traditionsbewusste Bevölkerung für Jardirs und Ineveras weitreichenden Reformen noch nicht bereit. Kämpfende Khaffit, kämpfende Frauen – sie erwarteten zu schnell zu viel von ihrem Volk. In Jardirs Abwesenheit flammt der Widerstand gegen die gesellschaftlichen Erneuerungen auf und trägt zur Instabilität Krasias bei, die Jardirs Söhne ausnutzen, um den Schädelthron zu beanspruchen. Allen voran der Erstgeborene Jayan. Ich weiß nicht, was in Jayans Erziehung schiefgelaufen ist, aber er ist zu einem widerwärtigen, grausamen Menschen herangewachsen, den man auf keinen Fall auf einem Thron sehen möchte. Um seine Machtübernahme zu verhindern und sich vor seinen Unterstützern zu schützen, geht Inevera eine weise, hochspannende Allianz ein: sie verbündet sich mit Abban. Ich hatte meine wahre Freude daran, zu erleben, wie dieses tödliche Duo trotz ihrer offensichtlichen Animositäten gemeinsam agiert. Ich finde es interessant, wie kontrastierend Peter V. Brett die Thematik des Überwindens alter Feindseligkeiten in „The Skull Throne“ nutzt. Inevera und Abban, Jardir und Arlen, selbst Leesha und Renna (die ich immer noch nicht mag) finden zu einem überraschenden Waffenstillstand für das höhere Wohl. Was im Kleinen möglich ist, scheitert im großen Rahmen kolossal. Dieser Kontrast potenzierte meine ohnmächtige Wut auf die kleingeistigen Machthaber, die einfach nicht begreifen wollen, was auf dem Spiel steht. Insofern war die Lektüre definitiv einzigartig, denn ich erinnere mich nicht, dass mich ein hervorragender High Fantasy – Roman jemals so zornig stimmte. Ich frage mich, ob Brett diese ungewöhnliche emotionale Resonanz beabsichtigte.

 

Ich erlebte eine sehr seltsame Leseerfahrung mit „The Skull Throne“. Denke ich an die Lektüre zurück, beschleichen mich überwältigende Gefühle von Wut und Negativität. Natürlich gefiel mir dieser vierte Band, denn er ist hochpolitisch, intelligent und illusionslos. Objektiv störten mich maximal kleinere Schönheitsmakel, wie die unausgeglichene Strukturierung, die Leesha meinem Empfinden nach mehr Raum als allen anderen Hauptfiguren zugestand oder eine Szene mit Rojer und seinen Ehefrauen, die mir moralisch fragwürdig erschien. Trotz dessen beeinflussten mich die inhaltlichen Entwicklungen der Geschichte so stark, dass ich zwar gefesselt war, aber keinen richtigen Spaß am Lesen hatte. Es wirkte alles so demoralisierend, besonders angesichts der Ausgangssituation für den finalen Band „The Core“: innerhalb der Völker grassiert weitreichende Uneinigkeit, die Spannungen zwischen ihnen führten zum Krieg und die einzigen, die die Geschlossenheit der Menschheit wiederherstellen könnten, haben sich verkrümelt, um einen selbstmörderischen Plan zu verfolgen. Tja. Keine rosigen Aussichten. Ich kann im Moment kein Potential für das Happy End erkennen, das ich mir wünsche. Ich hoffe, dass es Peter V. Brett gelingt, mich eines Besseren zu belehren. Ich möchte mich positiv an den „Demon Cycle“ erinnern.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/08/28/peter-v-brett-the-skull-throne
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review 2018-06-12 10:36
Eine Portion Originalität, bitte!
Malice - John Gwynne

Greifbare, gelebte Geschichte ist für den Autor John Gwynne einer der stärksten Faktoren, die sein Schreiben beeinflussen. Das Nachstellen historischer Ereignisse gehört zu seinen Hobbies. Oh ja, Mr. Gwynne hüpft gern in ein Kostüm und spielt Schlachten, Turniere und das mittelalterliche Alltagsleben nach – begleitet von seiner gesamten Familie. Eine herrliche Schrulle. Er erklärt, dass die Erfahrungen, die er dort sammelte, den Entstehungsprozess des High Fantasy – Epos „The Faithful and the Fallen“ entscheidend inspirierten. „Malice“ ist der Auftakt der vierteiligen Reihe, mit dem ich mich vertrauensvoll in die Hände eines Schriftstellers übergab, der tatsächlich weiß, wie es sich anfühlt, einen Schwerthieb abzublocken.

 

Einst wurden Menschen und Riesen als unsterbliche Herren über die Erde geschaffen. Sie bevölkerten die Schöpfung des Gottes Elyon und lebten in Harmonie. Doch sie wurden beobachtet. Hasserfüllt und eifersüchtig blickte Elyons Gegenspieler Asroth auf die Welt. Bosheit erfasste ihn. Hinterlistig entzweite er Menschen und Riesen. Der Tod, vormals unbekannt, hob sein hässliches Haupt. Ströme aus Blut färbten die Erde und Elyons Zorn war schrecklich. Er entsandte seine Elitekrieger, die Ben-Elim, um seine geliebte Schöpfung auszulöschen. Sein Urteil war fast vollstreckt, als Elyon aus der Anderswelt Asroth‘ Lachen vernahm. Er erkannte, dass er hereingelegt worden war. Bestürzt und von tiefer Trauer überwältigt rettete er die Ruinen seiner ehemals prachtvollen Welt und verschwand. Er kehrte nicht zurück. Noch immer kämpfen die Ben-Elim gegen Asroth und seine Heerscharen, während die Völker der Erde in den Trümmern des Krieges zu überleben versuchen.
Jahrtausende später wächst Asroth‘ Einfluss erneut. Eine Prophezeiung weissagt, dass das Schicksal der Welt zwischen zwei Kämpfern entschieden wird: der Schwarzen Sonne und dem Leuchtenden Stern. Der junge Corban ahnt nicht, dass seine Zukunft eng mit der Prophezeiung verknüpft ist und dass sein Erwachen der Beginn des letzten Krieges sein wird…

 

„Malice“ ist nicht sehr originell. Leser_innen, die in der High Fantasy bewandert sind, wird schnell auffallen, dass der Reihenauftakt einige Details enthält, die deutlich an andere Vertreter des Genres erinnern. Zwischen den Zeilen lächelten George R.R. Martins „A Song of Ice and Fire“, Peter V. Bretts „Demon Cycle“ und Brandon Sandersons „Mistborn“-Reihe hervor. Es wirkte, als hätte John Gwynne einen Streifzug durch ein High Fantasy Factory-Outlet unternommen und all jene Elemente in seinen Einkaufswagen gepackt, die er für sein eigenes Epos als passend erachtete. Ich scheue mich trotz dessen, von einem Plagiat zu sprechen, weil ich das Ergebnis seiner Shoppingtour durchaus als individuell empfand. Die grundlegenden Ideen sind nicht revolutionär, aber die Geschichte, die Gwynne daraus spinnt, erschien mir dennoch einzigartig. Ich war sogar versucht, „Malice“ mit vier Sternen zu honorieren, konnte jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass ich etwa 200 Seiten brauchte, um in die Handlung zu finden. Durch häufige Perspektivwechsel nimmt diese eher langsam Fahrt auf. Den Leser_innen wird viel Zeit gewährt, um die Figuren kennenzulernen und sich im Universum der Verbannten Lande zurechtzufinden. Besondere Aufmerksamkeit erhält natürlich Corban, dessen Aufwachsen ich mit Freude beobachtete. Ich durfte erleben, wie aus einem tollpatschigen Feigling ein mutiger Krieger mit starkem Gerechtigkeitssinn wurde und entwickelte daher eine enge Bindung zu ihm. Der Aspekt des Coming of Age entspricht in der High Fantasy ebenfalls nicht der Neuerfindung des Rades, doch es funktionierte. Die anderen POV-Charaktere dienten meinem Empfinden nach hauptsächlich dazu, einen weitreichenden Eindruck der Verbannten Lande zu vermitteln, die Eigenheiten des Settings vorzustellen und die Rollen der Geschichte zuzuweisen. Für mich war neben Corban vor allem Kastell interessant, durch dessen Augen ich mit den Riesen in Kontakt und Konflikt trat. Meiner Meinung nach ist die prominente Implementierung der Riesen der eine Faktor, der „Malice“ trotz des hohen Wiedererkennungswertes aufgrund genretypischer Strukturen, Figuren und Motive die dringend benötigte Kreativität lieferte. Das Volk der Riesen ist häufig nur eine Randerscheinung – John Gwynne hingegen deutet an, dass sie den Menschen einst gleichgestellt waren und über unschätzbares Wissen und beeindruckende Fähigkeiten verfügten. Die Exemplare, gegen die Kastell kämpfen muss, wirkten bar jeglicher Kultiviertheit oder Weisheit, nichtsdestotrotz stammt die Prophezeiung, die den entscheidenden Krieg um das Schicksal der Erde voraussagt, von einem Riesen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Gwynne das vorurteilsbehaftete Bild dieses Volkes in den Folgebänden korrigieren wird. Ich hoffe sehr, dass er sich auf diesen Punkt konzentriert, denn dort versteckt sich das Potential, „The Faithful and the Fallen“ aus dem tiefen Schatten des Genres heraustreten zu lassen.

 

Nach der Lektüre von „Malice“ wäre es leicht, anzunehmen, dass „The Faithful and the Fallen“ nicht viel zu bieten hat. Die Geschichte wirkt vorgezeichnet. Episch, aber vorhersehbar und zu genrekonform, um zu überraschen. Trotz dessen behauptet mein Bauchgefühl steif und fest, dass es sich lohnen wird, nachsichtig zu sein und dran zu bleiben. Unbestritten, John Gwynne muss nachlegen. Will er ernstgenommen werden und einen rechtmäßigen Platz in der Riege der High Fantasy – Autor_innen erobern, muss er sich von risikoarm erscheinenden Basiselementen distanzieren und etwas Neues wagen. Er muss seinen eigenen Impulsen vertrauen. „Malice“ lässt erahnen, dass das Potential dazu sowohl in ihm als auch in seiner Geschichte schlummert, denn das Buch begann, mich genau dann zu fesseln, als die Handlung den sicheren Hafen des Bekannten verließ. Das kann kein Zufall sein. Nur Mut, Mr. Gwynne. Wachsen Sie über sich hinaus.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/06/12/john-gwynne-malice
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