„Die Anderen“ von Boris Koch ist der Beweis dafür, dass ein gut gefülltes Bücherregal samt monströsem SuB meiner Ansicht nach ein Segen ist. Nachdem ich „Die Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath gelesen hatte, musste ein leichte, lockere Lektüre her, die ich mir für jede meiner Challenges anrechnen konnte. Ich brauchte einen High Fantasy – Roman von einem deutschen Autor oder einer deutschen Autorin mit einem grünen Cover. Vier Anforderungspunkte sollten erfüllt sein. Mit meiner Privatbibliothek ist das kein Problem. „Die Anderen“ passte einfach perfekt, weshalb ich mich von etlichen negativen bzw. durchschnittlichen Rezensionen nicht einschüchtern ließ.
Das Orakel. Die Prophezeiung. Ein unbekanntes Volk, das die Welt bedroht und nur durch die Zusammenarbeit der vier Völker besiegt werden kann. Der Stoff, aus dem Helden gemacht sind!
Halt, halt, halt! Zusammenarbeit? Helden? Dass ich nicht lache! Zweckgemeinschaft egoistischer Chaoten trifft es eher. Zwei Elfen, die ihre Angebetete aus der Verbannung retten wollen, ein Trupp Orks, der sich bei der sadistischen Königin einzuschmeicheln versucht, ein Troll, der Medizin für den erkälteten Finstergeist des Berges sucht und zwei Zwerge, der eine auf der Suche nach seiner Herkunft, der andere auf einer obsessiven Mission zur Vernichtung aller Monos, gehen wohl kaum als Weltrettungskommando durch. Oder doch? Was als loser Verbund individueller Ziele begann, entwickelt sich schnell zu einer Gemeinschaft, die mit allen Wassern gewaschen ist. Sind sie bereit, es mit dem gefährlichsten Feind aufzunehmen, den die Welt je gesehen hat? Sind sie bereit für die Anderen?
Ich verstehe, warum sich die Begeisterung für „Die Anderen“ bei vielen Leser_innen in Grenzen hielt. Es ist stumpf, es ist reißerisch, es spielt auf billigste Art und Weise mit den Klischees des Fantasy – Genres. Es ist ganz und gar überflüssig, sinnlos und grundsätzlich Zeitverschwendung. Es gelesen zu haben, hat mich in meinem Leben weder vorangebracht, noch hat es selbiges nachhaltig beeinflusst. Aber wisst ihr was? Ich habe trotzdem gelacht. Und wie ich gelacht habe. Man will es kaum glauben, doch manchmal lese ich wirklich ausschließlich zum Spaß. Berücksichtigt man meine Ausgangssituation, hätte ich mir keine passendere Lektüre zum Durchatmen wünschen können. „Die Anderen“ ist ein Buch zum Abschalten, eine Parodie voller Anspielungen auf die großen Werke der Fantasy. „Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“, „Die Orks“, „Die Zwerge“ – sie alle werden mächtig durch den Kakao gezogen. Boris Koch macht noch nicht einmal vor dem verstorbenen Sir Terry Pratchett Halt und bedient sich seiner Vorliebe für ausschweifende Fußnoten, um klugscheißerische Kommentare zu seinem eigenen Manuskript abzugeben. Es gibt Werbeunterbrechungen, Kanalwechsel und Illustrationen. In einer Szene wird aus dem Prosatext plötzlich ein Comic, was sogar den Figuren auffällt. Da fragt man sich, wie Koch neben all den Ablenkungen überhaupt eine zusammenhängende Geschichte erzählen kann, oder? Nun, genau das ist der Punkt: die Handlung von „Die Anderen“ spielt keine Rolle. Es ist völlig unwichtig, was in dem Buch geschieht, weil es lediglich darum geht, eine typische High Fantasy – Geschichte möglichst absurd zu parodieren. Vor diesem Hintergrund finde ich „Die Anderen“ äußerst gelungen. Objektiv betrachtet enthält das Buch alle traditionellen Elemente, von der Quest über die Heldengruppe bis hin zur Legende eines alten Relikts, das in sich die Macht zur Rettung der Welt trägt. Aber was Koch daraus macht, ist ganz und gar untypisch. Er verdreht die üblichen Handlungsstrukturen, bis sie kaum wiederzuerkennen sind, lässt seine Figuren beispielsweise versehentlich in die Realität (Mallorca oder die Ostsee) stolpern und stellt die unumgängliche finale Schlacht als surreale Prügelei dar, in der Verluste mit einem Schulterzucken abgetan werden. Man erfährt nie, in welcher Welt man sich eigentlich befindet und kann über die absichtlich klischeehaften Figuren nur den Kopf schütteln. Fragwürdige Slapstick-Einlagen unterstreichen die gewollte Komik der Szenen, sodass sich eine Atmosphäre der Unberechenbarkeit entwickelt, weil man nie weiß, wann Boris Koch das nächste Mal jemanden eine Treppe herunterfallen, auf einer Banane ausrutschen oder auf eine Harke treten lässt. Diese Art von Humor gefällt nicht allen Leser_innen, aber mir kam der Stumpfsinn des Ganzen sehr entgegen. Ich habe mich köstlich amüsiert, weil „Die Anderen“ wirklich keinen Funken Ernsthaftigkeit enthält. Ich lese so oft ernste, strenge, komplexe, bedeutsame und/oder eindringliche Literatur, dass mir ein Ausflug in die Banalität einfach guttat. Es tat gut, über all das, was ich sonst ehrfürchtig bestaune, aus voller Kehle zu lachen und sich darüber lustig zu machen. Dieser Roman hat mir genau das geboten, was ich in diesem Moment gebraucht habe.
Bei der Lektüre von „Die Anderen“ sind der Zeitpunkt und das Erwartungsmanagement immens wichtig. Kann man von Boris Koch erwarten, dass er seine Leser_innen zum Lachen bringt? Definitiv. Kann man von ihm feinsinnigen, subtilen, intelligenten Humor erwarten? Himmel, nein. Humor mit der Brechstange, das ist sein Metier. Deswegen ist es essenziell, dass man in der richtigen Stimmung ist, wenn man dieses Buch zu lesen beabsichtigt. Sicherlich hilft auch eine Vorliebe für flache, doofe Witze und für das Spiel mit Stereotypen. Meiner Ansicht nach muss man nicht unbedingt ein Fan der Fantasy sein, um sich von „Die Anderen“ unterhalten zu fühlen, aber es ist garantiert von Vorteil, weil sonst all die Anspielungen auf andere Werke unbeachtet verpuffen und die Absicht hinter diesem Roman verloren geht. Für mich war das Buch mentaler Urlaub, eine Erholung von allem Bedeutungsvollen und eine Gelegenheit, intellektuell endlich mal wieder alle Viere gerade sein zu lassen. Was könnte dafür besser geeignet sein als hochkarätiger Schwachfug?