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review 2019-03-27 08:54
Atheist auf Götterjagd
AERA - Die Rückkehr der Götter - Markus Heitz

2012, als sich alle Welt wegen des Mayakalenders in die Hose machte, beschäftigte sich der Fantastik-Autor Markus Heitz mit den damit verbundenen Vorhersagen. Er fand heraus, dass dort keineswegs die Rede vom Weltuntergang war. Vielmehr versprachen die Prophezeiungen Veränderung. Er grübelte, was in unserer modernen Zeit als gravierende Veränderung durchgehen könnte. Eine Idee nahm Gestalt an: eine reelle Manifestation antiker Götter. Doch sein Zeitplan ließ es nicht zu, sie sofort umzusetzen. Erst 2015 hatte Heitz genug Luft, um sich diesem Gedankenspiel zu widmen. Dann sollte es schnell gehen. Er entschied, „AERA: Die Rückkehr der Götter in 10 E-Book-Episoden zu veröffentlichen und die Printausgabe hintenanzustellen. Da ich Printausgaben jedoch bevorzuge, wartete ich auf das Taschenbuch und las die irre Geschichte 2018 am Stück.

 

Die Welt erbebt im Angesicht göttlicher Präsenz. Sieben Jahre ist es her, seit die antiken Götter zurückkehrten und die Menschheit ins Chaos stürzten. Sie eroberten die Moderne im Sturm, lösten Kriege aus und demonstrierten ihre uneingeschränkte Macht. Im Jahr 2019 hat sich die Lage beruhigt. Eine neue Ordnung ist entstanden. Doch einige Zweifler gibt es noch immer. Malleus Borreau blieb Atheist. Er glaubt nicht, dass es sich bei den Entitäten, denen aufopferungsvoll gehuldigt wird, wahrhaft um Götter handelt. Sein Misstrauen stigmatisiert ihn als Außenseiter und ist das Geheimnis seines beruflichen Erfolgs. Als Ermittler bei Interpol untersucht er Verbrechen, die mit den Göttern in Zusammenhang stehen. Sein neuster Fall bringt jedoch sogar seine ehernen Überzeugungen ins Wanken. Auf der ganzen Welt verschwinden religiöse Artefakte. Leichen bezeugen die Skrupellosigkeit der Diebe und an den Tatorten taucht ein rätselhaftes Symbol auf. Ein Symbol, das Malleus schon einmal gesehen hat und das ihm noch immer Albträume beschert…

 

Betrachten wir die moderne Welt. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft. Technischer Fortschritt. Ist die Menschheit auf das Unmögliche vorbereitet? Sind wir bereit, Glaube und Mythologie Gewissheit werden zu lassen? Laut Markus Heitz sind wir es nicht. Nach der Lektüre von „AERA: Die Rückkehr der Götter“ bin ich überzeugt, dass wir dankbar sein können, dass seine Vision fiktiv ist. Im sensiblen Gefüge unserer Gesellschaft ist einfach kein Platz für Omnipotenz. Die Götter vergangener Religionen sind den Menschen zu ähnlich: aggressiv, rachsüchtig, destruktiv. Sie brächten das Schlechteste in uns zum Vorschein. Der Glaube war schon immer eine beliebte Ausrede für entsetzliche Gräuel. Meiner Meinung nach würde sich diese Tendenz durch die physische Anwesenheit von Zeus und Konsorten potenzieren. Heitz teilt diese Ansicht offenbar, denn die Ermittlungen seines Protagonisten Malleus Borreau, die selten die Götter selbst, sondern meist Menschen betreffen, belegen, mit welch kalter Leidenschaft wir uns im Namen des Glaubens gegenseitig Schreckliches antun. Die episodische Konzeption von „AERA“ ist deutlich spürbar: die Leser_innen begleiten Malleus auf seinen Reisen von Fall zu Fall quer über den Erdball, die durch die übergreifende Handlungslinie der gestohlenen Artefakte lose verbunden sind. Auf diese Weise erlaubte mir Heitz, zahlreiche Facetten seiner beeindruckend realistisch ausgearbeiteten alternativen Realität zu erleben. Meinetwegen hätte er gern konkrete politische, soziale und ökonomische Implikationen illustrieren und stärker auf die positiven Aspekte göttlicher Präsenz eingehen können, ich möchte ihm die Schwerpunktentscheidung, sich auf die Abbildung von Vielfalt zu konzentrieren und dafür auf Detailreichtum zu verzichten, jedoch nicht ankreiden. Ich kann nachvollziehen, dass Malleus‘ Wahrnehmung im Fokus steht, weil er eine überaus interessante Position in der Geschichte einnimmt. Er verkörpert einen grundsätzlich blasphemischen Gedanken: die Annahme, dass nicht alles, was Götter tun, rechtmäßig oder automatisch legitim ist. Auch sie können Verbrechen begehen, die Schwierigkeit besteht nur darin, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Heitz deutet somit an, dass wir in einer Welt leben, in der sich selbst das Göttliche dem Irdischen beugen muss – eine faszinierende Theorie. Das Problem daran war für mich, dass er eine Hauptfigur entwickeln musste, die dieser Theorie gerecht wird. Ich empfand Malleus als vollkommen überzeichnet. Alle Eigenschaften, die ihn als guten Ermittler charakterisieren, erschienen mir übertrieben. Er wirkte allen, sogar den Göttern und mir als Leserin, soweit überlegen, dass ich ihn unglaubwürdig fand und keine Chance hatte, seine Fälle selbstständig zu lösen. Malleus‘ arrogante, sexistisch gefärbte Superiorität stand daher zwischen uns, sodass ich nicht fähig war, Sympathie für ihn aufzubauen. Seine atheistische Einstellung konnte ich ebenfalls nicht nachempfinden. Würde Heitz‘ Gedankenspiel aus „AERA“ Wirklichkeit, ich würde voll drauf einsteigen. Ich würde mir einen Kult aussuchen und dessen glühendste Anhängerin werden.

 

„AERA: Die Rückkehr der Götter“ ist deutlich weniger fantastisch, als es auf den ersten Blick wirkt. Die Ausgangssituation erscheint skurril – doch die Konsequenzen, die Markus Heitz porträtiert, sind absolut vorstellbar. Die Lektüre war spannend, ich wünschte nur, ich hätte gemeinsam mit dem Protagonisten Malleus Borreau ermitteln dürfen, statt ihm lediglich dabei zuzusehen. Dennoch erlaubten mir seine Fälle, das Verhältnis von Menschlichkeit und Göttlichkeit aus einer sehr modernen Perspektive zu analysieren. Unsere Spezies kam dabei nicht gut weg. Man darf uns gar nicht erst in die Nähe von göttlicher Macht lassen, denn uns fällt garantiert eine Möglichkeit ein, diese für den eigenen Vorteil zu missbrauchen. Für mich ergab „AERA“ ein ernüchterndes Fazit: die Menschheit könnte mit dem Weltuntergang vermutlich besser umgehen als mit Göttern, die auf Erden wandeln.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/27/markus-heitz-aera-die-rueckkehr-der-goetter
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review 2018-06-20 08:03
Gier hält meinen Kitschradar zum Narren
Saphirblau - Kerstin Gier

Kerstin Gier widmete sich erst spät in ihrer Karriere der fantastischen Jugendliteratur. Sie war bereits seit mehr als einem Jahrzehnt als Autorin erfolgreich, bevor sie 2009 den Genrewechsel wagte. Sie wollte eine romantische Liebesgeschichte schreiben, die Humor und Fantasy vereint, Abenteuer, historische Kostüme und Degenkämpfe involviert und kein historischer Roman ist. Ambitioniert. Zusätzlich verlangte die damalige Programmchefin des Arena-Verlags, dass Giers neustes Projekt international vermarktbar sein sollte. Mit anderen Worten: es sollte nicht in Deutschland spielen. Die Lösung hieß Zeitreisen, das Ergebnis ist die „Edelstein-Trilogie“. „Saphirblau“ ist der zweite Band dieses Welterfolgs, den ich direkt im Anschluss an „Rubinrot“ las.

 

Lange macht Gwendolyn den Zeitreise-Zirkus ja noch nicht mit, aber eines hat sie bereits begriffen: als Zeitreisende lebt man gefährlich. In den letzten Tagen ist sie nur knapp einem Attentat entgangen, ihre verschollene Cousine Lucy lauerte ihr auf und zu allem Überfluss scheint sie nun in eine Verschwörung mit ihrem gegenwärtig verstorbenen Großvater verstrickt zu sein. Von der sie keinen blassen Schimmer hat. Jedenfalls noch nicht. Offenbar hat ihr zukünftiges Ich ein Treffen mit Lord Lucas Montrose im Jahr 1948 arrangiert, um herauszufinden, warum Lucy und Paul den zweiten Chronografen stahlen. Es muss einen Grund haben, dass die beiden glaubten, der Kreis dürfe sich nicht schließen. In der Loge erklärt Gwen ja niemand jemals irgendetwas, also muss sie sich selbst helfen. Vielleicht kann die zukünftige Gwen ihr auch gleich einen Rat in Liebesdingen geben, denn aus Gideon wird sie einfach nicht schlau. Zwischen den Zeiten ist eben alles doppelt kompliziert.

 

Am Ende von „Rubinrot“ hatte ich das Gefühl, dass der erste Band hauptsächlich der Orientierung dient. Die Protagonistin Gwen entpuppt sich als Trägerin der Zeitreise-Gens und erlebt ihre ersten Zeitsprünge, doch worum es in der Handlung der Trilogie eigentlich gehen sollte, konnte ich noch nicht determinieren. Folglich erwartete ich von der Fortsetzung „Saphirblau“ Aufklärung. Ich hoffte, den Kern der Geschichte freilegen zu können. Ich schätze, es ist mir gelungen, aber ich kann nicht behaupten, dass die Autorin Kerstin Gier dabei hilfreich gewesen wäre. Obwohl ich mit „Saphirblau“ ebenso viel Spaß hatte wie mit „Rubinrot“ und erneut ratzfatz durch war, weil es aufregend und fesselnd ist, erscheint es mir rückblickend äußerst unfokussiert. Szene für Szene musste ich Gwens romantische Eskapaden mit Gideon demontieren, sie bewusst ignorieren, um zum harten Gerüst der Handlung vorzudringen. Das anstrengende Hin und Her des Teenager-Dramas lenkt massiv vom tatsächlichen Geschehen ab. Ich musste das Buch für die Inhaltsangabe noch einmal querlesen. Interessant daran ist, dass mir erst im Nachhinein bewusstwurde, wie lückenhaft sich die Handlung in meinem Gedächtnis festsetzte. Während der Lektüre fiel mir gar nicht auf, dass das Liebesleben der Protagonistin deutlich dominanter ist als die Entwicklung der Ereignisse. Nun könnte man Kerstin Gier vorwerfen, dass „Saphirblau“ unausgewogen geriet und diese Kritik wäre berechtigt. Trotz dessen spricht es für Fortsetzung und Autorin, dass ich mich beim Lesen selbst nicht daran störte. Gier versetzt sich so überzeugend in die 16-jährige Gwen hinein, dass ich die Gesellschaft der Ich-Erzählerin genoss und mich nostalgisch lächelnd daran erinnerte, wie es war, in diesem Alter zum ersten Mal verliebt zu sein. Ich fand es nur ein bisschen schade, dass Gier Gideons Perspektive ausklammerte, da sein sprunghaftes Verhalten dadurch unerklärlich wirkte. Ich vermutete allerdings, dass sein rätselhaftes Benehmen irgendwie mit den Plänen der zukünftigen Gwen zusammenhing. Gemeinsam mit ihrem Großvater versucht sie herauszufinden, warum ihre Cousine Lucy und deren Freund Paul den zweiten Chronografen stahlen und arbeitet somit aktiv daran, die Geheimnisse der Loge und des Grafen von Saint Germain aufzudecken. Die blinde Loyalität und Ergebenheit der Wächter für den Grafen konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wie ist es ihm gelungen, sich selbst in eine Position zu manövrieren, aus der er fähig ist, intelligente, erwachsene Männer aus der Vergangenheit heraus zu kontrollieren? Das stinkt doch. Nie im Leben ist er der Wohltäter, als der er sich präsentiert. Ich fand es bezeichnend, dass ein 16-jähriges Mädchen die einzige ist, die den Mut besitzt, ihm die Stirn zu bieten. Gwen ist die einzige, die sich nicht mit seinen kryptischen Antworten zufriedengibt und die Vergangenheit auf eigene Faust nach der Wahrheit durchforstet. Es beeindruckte mich abermals, wie simpel Kerstin Gier das Zeitreisethema gestaltet. Sie geht nur auf Zeitsprünge ein, wenn es absolut notwendig ist und erklärt alle daraus resultierenden Situationen transparent und einleuchtend. Sie beweist, dass ein kompliziertes Leben zwischen den Zeiten mitnichten kompliziert beschrieben sein muss.

 

Die „Edelstein-Trilogie“ ist überwältigend feminin. Die weibliche Note ist auf jeder Seite spürbar, sei es in der detaillierten Beschreibung der historischen Kostüme oder in Gwens Herzschmerz-Drama mit Gideon. Normalerweise habe ich für Bücher, die das Liebesleben der Hauptfiguren dominanter thematisieren als die tatsächliche Handlung, wenig übrig. Ich leide unter einer ausgeprägten Kitsch-Allergie. Es ist ein kleines Wunder, dass mir weder „Rubinrot“ noch „Saphirblau“ Ausschlag verursachten. Der Grund dafür ist meiner Meinung nach die Mischung: „Gidolyns“ Eiertanz ist erträglich und sogar unterhaltsam, weil Kerstin Gier die romantische Ebene der Geschichte in einen rasanten, actiongeladenen Strom handfester Ereignisse integrierte. Von wegen seichte, flache Unterhaltungsliteratur. Meinen hypersensiblen Kitschradar hält sonst niemand so leicht zum Narren. Das muss ihr erst mal jemand nachmachen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/06/20/kerstin-gier-saphirblau
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review 2017-04-07 10:46
FAST der feuchte Traum jeder Leseratte
The Invisible Library - Genevieve Cogman

Ich glaube fest daran, dass Genevieve Cogman, Autorin der Reihe „The Invisible Library“, eine tolle und interessante Person ist. Leider ist ihre Kurzbiografie, die sie auf ihrer Website veröffentlichte, sterbenslangweilig. Da steht lediglich, dass sie für verschiedene Rollenspielprojekte geschrieben hat und aktuell für den englischen National Health Service arbeitet. Gähn. Glücklicherweise interessiert mich das Privatleben von Autor_innen beim Buchkauf nicht. „The Invisible Library“ fiel mir in einer Buchhandlung ins Auge. Oh ja, das kommt durchaus noch vor. Der Klappentext gefiel, das Cover auch – es durfte spontan bei mir einziehen.

 

Irene ist keine Diebin. Nein, sie ist Bibliothekarin. Zugegeben, in ihrem Job muss sie sich hin und wieder als Agentin und Spionin betätigen, aber diese Ausflüge dienen schließlich einem höheren Wohl. Sie infiltriert alternative Welten, lokalisiert wertvolle Bücher und stellt diese unter den Schutz der Unsichtbaren Bibliothek, die zwischen den Welten existiert. Irenes letzter Auftrag verlief erfolgreich, wenn auch turbulent, sodass sie reichlich verwundert ist, sofort auf den nächsten Fall angesetzt zu werden. In Begleitung des neues Rekruten Kai soll sie ein Buch aus einer alternativen Welt bergen, die hochgradig vom Chaos infiziert ist. Doch als Irene und Kai dort eintreffen, ist das Buch verschwunden. Es wurde gestohlen. Mit leeren Händen in die Bibliothek zurückzukehren kommt nicht in Frage, also stürzt sich das Duo kopfüber in die Unterwelt Londons. Zwischen Geheimgesellschaften, übernatürlichen Wesen und handfester Detektivarbeit begegnet ihnen das schmutzigste Geheimnis der Bibliothek – und plötzlich sind ihre Leben und die Realität selbst in Gefahr. Von wegen langweiliges Dasein einer Bibliothekarin.

 

Bücherwürmer lieben Bücher, die von Büchern handeln. Soweit richtig? Okay. Das heißt aber nicht, dass wir wahllos über jeden Roman in Begeisterungsstürme ausbrechen, der Bücher, Bibliotheken oder das Lesen thematisiert. Ich fand „The Invisible Library“ mittelmäßig, obwohl die Idee des Buches bzw. der Reihe selbstverständlich toll ist. Reisen in alternative Welten, eine gigantische Bibliothek, die außerhalb von Zeit und Raum existiert und die berufliche Jagd nach seltenen Büchern. Der feuchte Traum jeder Leseratte. Zumindest einzeln. Die Kombination dieser Komponenten empfand ich als schwierig, unter anderem, weil Genevieve Cogman ihren Ansatz selbst kritisiert.
Die Bibliothekar_innen der Unsichtbaren Bibliothek sichern literarische Werke, um sie zu bewahren. Bin ich die einzige, die diesen Beweggrund für das Entwenden eines Buches aus einem Alternativuniversum irgendwie dünn, egoistisch und verantwortungslos findet? De facto stehlen die Bibliothekar_innen, da gibt es nichts zu beschönigen. Nicht einmal die Protagonistin Irene kann überzeugend rechtfertigen, dass sie in fremde Welten eindringt, um dort einen Diebstahl zu begehen. Direkt darauf angesprochen, stammelt sie eine unzusammenhängende und offenbar auswendig gelernte Antwort, in der meines Erachtens nach leise Kritik seitens der Autorin mitschwingt. Bewahrt die Unsichtbare Bibliothek nur um des Bewahrens willen? Entspricht das nicht der Definition von sinn- und ziellosem Horten? Wie viele Bücher befinden sich in ihren Regalen, die nach der Sicherung nie wieder angefasst wurden? Was passiert, wenn ein Buch gestohlen wird, das für die Zukunft der alternativen Welt bedeutsam ist? Grundsätzlich gefiel es mir, dass Cogman die Ethik der Unsichtbaren Bibliothek in Frage stellt, ich kann allerdings nicht leugnen, dass ich dadurch den Eindruck gewann, dass sie ihrem eigenen Entwurf nicht so recht traute oder nicht zu 100 Prozent von ihm überzeugt war.
Außerdem glaube ich, dass Irene nur einen Bruchteil dessen weiß, was hinter der erhabenen Fassade der Bibliothek vor sich geht. Normalerweise verpflichten sich Bibliothekar_innen für die Ewigkeit. Während ihrer Mission begegnet Irene jedoch ein Aussteiger, jemand, der sich von der Bibliothek abwandte. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, warum diese Person ausstieg. Warum verließ er die Bibliothek? Angesichts der Loyalität, Leidenschaft und Hingabe, die scheinbar alle Bibliothekar_innen empfinden, fiel diese Entscheidung garantiert nicht grundlos oder leichthin. Leider hinterfragt Irene seine Motivation nicht, weil sie die Jagd nach dem Buch pausenlos in Atem hält.
„The Invisible Library“ ist äußerst tempo- und actionreich und verströmt eine gute Portion des Charmes einer Detektivgeschichte à la „Sherlock Holmes“. Ich mochte die etwas altmodische Ausstrahlung der Geschichte, hätte mir allerdings gewünscht, dass Cogman sich mit der Atmosphäre des alternativen Londons mehr Mühe gegeben hätte. Ich hatte Schwierigkeiten, mir die Unterschiede zur reellen Stadt vorzustellen, weil mir die Beschreibung der viktorianisch angehauchten Steampunk-Version oberflächlich und skizzenhaft erschien. Insgesamt fand ich das Konzept der Stadt auch etwas unkreativ. Alles schon tausend Mal dagewesen. Wieso nicht eine völlig neue Variante erschaffen?

 

Wenn ihr mit dem Gedanken spielt, „The Invisible Library“ zu lesen, weil euch beispielsweise „Die Seiten der Welt“ von Kai Meyer begeisterte, muss ich euch leider enttäuschen. Dieser Reihenauftakt weist längst nicht das gleiche Maß an liebevoller, inspirierender Konstruktion auf. Ich fand das Buch ganz nett und unterhaltsam, mehr aber auch nicht. Trotz dessen warf die Lektüre so viele Fragen auf, dass ich beschlossen habe, dem Nachfolger „The Masked City“ eine Chance zu geben. Ich bin neugierig. Ich möchte wissen, ob Genevieve Cogman die Kritik an der Ethik der Unsichtbaren Bibliothek weiterverfolgt und Irene weitere Geheimnisse aufdecken lässt, die ihre Ergebenheit auf die Probe stellen. Vielleicht braucht die Reihe einfach ein wenig Anlauf, bis sie richtig in Fahrt kommt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/04/07/genevieve-cogman-the-invisible-library
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review 2016-11-17 10:47
Goldrausch im "First Law" - Universum
Blutklingen - Joe Abercrombie

Joe Abercrombie ist in sein „First Law“ – Universum zurückgekehrt. Im Januar 2017 wird die Anthologie „Schattenklingen“ bei uns veröffentlicht. Obwohl ich sonst kein Fan von Kurzgeschichten bin, kann ich es kaum erwarten. 13 neue Geschichten mit Glokta, Logen und all den anderen! Da es bis Januar ja nicht mehr allzu lang hin ist, wurde es höchste Zeit, dass ich mir den letzten der drei Einzelbände aus der „First Law“ – Welt vornehme. „Blutklingen“ stand auf der Speisekarte.

 

Scheu Süd war nicht immer ein guter Mensch. In ihrer Jugend lief sie von zu Hause fort und schloss sich einer Räuberbande an. Sie stahl. Sie tötete. Dankbar, dass diese dunklen Jahre der Gewalt weit zurückliegen, sorgt sie heute so gut sie kann für ihre kleinen Geschwister Ro und Pit und versucht, den Hof ihrer verstorbenen Mutter am Laufen zu halten. Keine einfache Aufgabe in Naheland. Unterstützt wird sie von dem alten Gully und Lamm, einem sensiblen Nordmann, der wohl so etwas wie ihr Stiefvater ist. Scheu kennt die Berichte über Goldfunde in Fernland. Idiotisch, wer glaubt, dort das Glück zu finden. Niemals würde sie ihre Verpflichtungen einfach hinschmeißen, um einem Traum nachzujagen. Doch als sie eines Tages gemeinsam mit Lamm aus der Stadt zurückkehrt, findet sie nichts als Asche vor. Ihr Hof wurde niedergebrannt, Gully ermordet und die Kinder verschleppt. Die Spuren deuten nach Fernland. Entschlossen, Ro und Pit zu finden, machen sich Scheu und Lamm auf die lange und gefährliche Reise. Bald muss Scheu einsehen, dass sie ihren Stiefvater weniger gut kennt, als sie dachte. Vielleicht ist sie nicht die einzige mit einer blutigen Vergangenheit.

 

Joe Abercrombie hat zu seiner alten Form zurückgefunden. „Blutklingen“ ist definitiv der beste der drei Einzelbände und knüpft qualitativ an die „First Law“ – Trilogie an. Während „Racheklingen“ und „Heldenklingen“ räumlich und inhaltlich begrenzte Geschichten erzählen, werden die Tore zu Abercrombies detailliertem Universum in „Blutklingen“ erneut weit aufgestoßen. Die Handlung setzt etwa 10 Jahre nach den Ereignissen in „Racheklingen“ an und beleuchtet einen Winkel der Welt, den die Leser_innen bisher nicht besuchen durften: die ungastlichen, gesetzlosen Regionen Naheland und Fernland. Seit in Fernland Gold gefunden wurde, setzte ein stetiger Zustrom von Glücksrittern und Verzweifelten ein, die hoffen, sich in der kargen Landschaft mithilfe einiger Nuggets ein neues Leben aufbauen zu können. Demzufolge ist „Blutklingen“ die High Fantasy – Version der Goldräusche in Nordamerika, eine Idee, die mich bereits grundsätzlich begeistert. Ich finde es großartig, dass Abercrombie reale Ereignisse der Geschichte in diesen Kontext überträgt und auf diese Weise spannende neue Perspektiven erkundet. Er arbeitet Naheland und Fernland überzeugend in die prekäre politische Situation zwischen der Union und dem Kaiserreich ein und verdeutlicht das Interesse beider Nationen an diesen Grenzlanden. Die Aura von Veränderung ist auf jeder Seite spürbar und unterstützt die bombastische, greifbare Atmosphäre. Er spielt mit der Frage, was Zivilisation eigentlich ausmacht: definiert sich Zivilisation über materielle Errungenschaften oder eher über das Verhalten der Menschen? Unwissenheit, Missverständnisse und Vorurteile schüren den Konflikt zwischen Siedlern und der indigenen Bevölkerung, führen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Ebenen und können den Fortschritt doch nicht aufhalten. Bedauerlicherweise ist das Kielwasser der Zivilisation stets blutig.
Die Protagonistin Scheu Süd kümmert sich wenig um Fortschritt und Zivilisation, ihr einziges Interesse gilt der Rettung ihrer Geschwister. Mir gefiel Scheu aufgrund ihrer Bodenständigkeit unglaublich gut. Sie ist eine harte junge Frau, deren Herz am rechten Fleck sitzt und die eine ansteckende Energie ausstrahlt. Ihre Vergangenheit desillusionierte sie, ließ sie misstrauisch und zynisch werden, aber sie bewahrte sich sowohl ihre Fähigkeit, zu lieben, als auch ihre Fähigkeit, Glück zu empfinden. Jede_r hat sein/ihr Päckchen zu tragen, eine Weisheit, die ebenso auf den Rechtsgelehrten Tempel und Scheus Stiefvater Lamm zutrifft. Während Tempel sein Wesen komplett umkrempelt, obwohl er viele Jahre für den berüchtigten Söldner Nicomo Cosca (ja, DER Cosca) arbeitete, wird Lamm im Verlauf ihrer Reise von seiner Vergangenheit eingeholt. Drei lebendige, realistische Figuren, die ganz verschiedene Antworten auf die Frage liefern, ob sich ein Mensch wirklich ändern kann. Mich faszinierte die Subtilität, mit der Joe Abercrombie dieses philosophische Thema in seine Geschichte integrierte. Ohne die Handlung zu beherrschen begleitet es die Leser_innen ununterbrochen, wie eine Unterströmung, die nur in entscheidenden Momenten zu Tage tritt. Abercrombie ist eben mehr als ein Chronist brutaler Gewalt und heftiger Kraftausdrücke, er verfügt über eine nachdenkliche, einfühlsame Seite. Dieser Facettenreichtum spiegelt sich in seinen Romanen wider und dafür liebe ich ihn.

 

„Blutklingen“ steigerte meine Vorfreude auf die Anthologie „Schattenklingen“ massiv. Es ist ein fantastischer High Fantasy – Roman voller Anspielungen auf die Realität und tiefen, abwechslungsreichen Charakteren. Das Setting erinnert an den Wilden Westen, die Handlung an die großen Goldräusche des 19. Jahrhunderts. Es vereint Härte, Action und Emotionalität auf unnachahmliche Weise. Ich hatte sehr viel Spaß beim Lesen und bin überzeugt, dass Joe Abercrombie mit seinem „First Law“ – Universum noch längst nicht fertig ist. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass nach der Anthologie weitere Bücher aus dieser Welt folgen werden. Meine Intuition sagt mir, dass dort noch viele Geschichten schlummern, die erzählt werden wollen und ich bin sicher, Joe Abercrombie weiß das. Mr. Abercrombie, ich warte. Bitte strapazieren sie meine Geduld nicht übermäßig.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/11/17/joe-abercrombie-blutklingen
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review 2016-03-27 14:20
Silence In a World Full of Sound: "Pferde Stehlen" by Per Petterson
Pferde stehlen - Per Petterson,Ina Kronenberger

Published 2006.

 

“Eigentlich wollte ich nur noch schlafen. Ich achte sehr auf die Stunden, die ich zum Schlafen brauche, es sind nicht mehr so viele, aber ich brauche sie ganz anders als früher. Eine Nacht ohne ausreichend Schlaf wirft noch tagelang Schlagschatten, macht mich reizbar und bremst meinen Schwung. Dazu fehlt mir die Zeit. Ich muss mich konzentrieren. Dennoch setzte ich mich wieder auf, schwang die Beine aus dem Bett, stellte die Fusse auf den Boden und suchte im Dunkeln nach meinen Kleidern, die über dem Rücken eines Sprossenstuhls hingen. Ich hielt die Luft an, als ich merkte, wie kalt sie waren. Dann lief ich durch die Küche in den Gang, zog die alte Seemannsjacke über, nahm die Taschenlampe vom Brett an der Wand und ging hinaus auf die Treppe. Es war stockdunkel. Ich machte die Tür noch einmal auf und schaltete die Aussenbeleuchtung an. Das half. Die rote Wand des Gerätschuppens warf einen warmen Wiederschein auf den Hof.” (Page 13)

 

My loose translation:

 

(All I wanted was to sleep. I have focused my attention on the hours I get, and although they are not many, I need them in a completely different way than before. A night without enough sleep throws dark shadows for many days ahead and makes me crabby and slows my drive. I have no time for that. I need to concentrate. Nevertheless, I sat up in bed again, swung my legs in the pitch black to the floor and found my clothes over the back of the post chair. I gasped when I felt how cold they were. Then I went through the kitchen and into the hall and pulled on my old nautical jacket, took the torch from the shelf and went out onto the steps. It was pitch black. I opened the door again, and switched on the outside light. That helped. The red-painted utility shed wall threw a warm glow across the yard.)

 

I confess. I’m not able to write about this novel. If you're into reading an attempt at writing a quasi-review, read on.

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