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review 2016-01-15 09:58
Märchenhaft
Heaven - Stadt der Feen - Christoph Marzi

Christoph Marzi. *seufz* Meine Beziehung zu diesem Autor ist kompliziert. Als Teenager habe ich seine vierteilige Reihe „Die Uralte Metropole“ gelesen und von Herzen geliebt. So sehr, dass ich sie sogar mehrfach gelesen habe. Bis heute gehören die Romane zu meinen All-Time-Favorites. Leider konnte Marzi danach meiner Meinung weder mit dem Zweiteiler „Fabula“ noch mit dem Einzelband „Grimm“ an seine eigene Brillanz anknüpfen. Dreimal hat er mich nach „Die Uralte Metropole“ enttäuscht. Trotz dessen kann ich nicht aufhören, ihm immer wieder eine Chance zu geben, weil ich weiß, was er kann. Ich weiß, wie viel Talent und sprachliche Schönheit in ihm schlummern. „Heaven: Stadt der Feen“ ist ein weiterer Versuch, in seinem Schaffen abermals das zu finden, was er mir vor Jahren mit „Lycidas“ und dessen Nachfolgern geboten hat.

 

Auf den Dächern Londons fühlt David sich frei. Hier oben kann er der erdrückenden Enge der Stadt entfliehen, ohne Mauern, Wände und Grenzen. David kann gehen, wohin auch immer er möchte. Eines Abends ist er wieder einmal unterwegs, um einen Auslieferungsauftrag zu erfüllen, als er plötzlich stolpert und beinahe vom Dach rutscht. David sieht sich um und stellt fest, dass ihn nicht etwas zu Fall brachte, sondern jemand. Ein Mädchen. Sie scheint Hilfe zu brauchen, also gibt sich David einen Ruck und spricht sie an. Sie sagt, ihr Name sei Heaven. Sie erzählt ihm eine ungeheuerliche, haarsträubende Geschichte: zwei unheimliche Männer haben ihr Herz gestohlen. Wortwörtlich. Und doch ist Heaven am Leben, spricht und atmet. Wie ist das möglich? David ist nicht sicher, ob er ihr glaubt, aber irgendetwas an ihr fasziniert ihn und so beschließt er, ihr beizustehen. Gemeinsam begeben sie sich auf die gefährliche Suche nach Heavens Herz und enträtseln dabei ein Mysterium, das London seit vielen Jahren umgibt.

 

„Heaven“ gibt mir für Christoph Marzi als Autor wieder Hoffnung. Es ist lange nicht so zauberhaft, detailreich und überzeugend wie „Die Uralte Metropole“, aber um einiges besser als „Fabula“ und „Grimm“. Vielleicht ist es nicht fair, das Buch nicht eigenständig zu bewerten, doch ich glaube, ein Schriftsteller muss es sich nun einmal gefallen lassen, dass man ihn an seinen vorangegangenen Werken misst. Ich habe den Eindruck, dass Marzi sich für diesen Einzelband auf seine Wurzeln besann. Die Handlung ist bodenständig, verzichtet auf Schlenker in andere, parallele Realitäten und konzentriert sich auf das Wesentliche. Ich bin erleichtert, dass dieser Roman so bescheiden geraten ist, denn auf diese Weise beweist Marzi, dass er noch immer eine glaubhafte, runde Geschichte schreiben kann. Über die Jagd nach Heavens Herz führt er seine beiden ProtagonistInnen durch die faszinierende Kulisse Londons und ließ vor meinen Augen ganz ähnliche Bilder entstehen wie damals vor vielen Jahren bei der Lektüre von „Die Uralte Metropole“. Ich kann seine Leidenschaft für diese alte Lady, für den charaktervollen Gegensatz von Geschichte und Moderne, absolut nachvollziehen. Diese Stadt umgibt von Natur aus ein Hauch Magie, den Marzi dank seines märchenhaften Schreibstils nicht nur in eine überzeugende, geheimnisvolle Atmosphäre verwandelt, sondern auch für sich arbeiten lässt. London selbst treibt Heavens und Davids Geschichte bereits voran, sodass sie sich ganz von allein entwickelt. Trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, dass Marzi jemals die Kontrolle verloren hätte – nein, er wusste, was er tat. Ich hätte mir allerdings etwas mehr Umfang gewünscht. „Heaven“ beschränkt sich fast ausschließlich auf Heaven und David und nimmt keine größeren Dimensionen ein, obwohl die Möglichkeit dazu meiner Ansicht nach durchaus präsent war. Es war, als würde die große Geschichte, die „Heaven“ hätte werden können, stets hinter der Handlung darauf warten, eingefangen zu werden. Ich kann natürlich nur vermuten, warum Marzi sie nicht lebendig werden ließ, doch ehrlich gesagt ist es mir so lieber, als hätte sich der Autor ein weiteres Mal verzettelt. Außerdem sind Heaven und David wirklich sympathisch, sodass ich sie gern begleitet habe. David hat genau das Feuer, das ich in der Figur des Oliver Twist von Charles Dickens vermisst habe. Ein wenig draufgängerisch, mutig und ein Herz aus Gold – eine Kombination, die man einfach mögen muss. Heaven ist nicht minder tapfer, aber sie besitzt ein zarteres, sanfteres Wesen als David. Ich empfand sie als introvertierte Persönlichkeit, die sowohl ihre innere wie auch ihre äußere Schönheit durch ihre Scheu verbirgt. Sie vereint Stärke und Zerbrechlichkeit, wodurch ihre Figur außerordentlich gut zum übernatürlichen Thema des Buches passt: Feen. Christoph Marzi hat sich ein ganz wundervolles, originelles Konzept dieser fantastischen Geschöpfe überlegt; anders als alles, was ich bisher über Feen gelesen habe. Ich fand seine Idee wahnsinnig interessant – schade, dass er nur kurz darauf eingeht.

 

„Heaven: Stadt der Feen“ ist ein märchenhafter Einzelband, mit dem Christoph Marzi meiner Meinung nach langsam wieder zu seiner alten Form zurückfindet. Nach den letzten drei Enttäuschungen freut es mich sehr, dass „Heaven“ mich überzeugen konnte, rund und ausgeglichen ist und tolle Ideen zusammenhängend verarbeitet. Ich finde, es passt hervorragend in die Weihnachts- und Winterzeit, weil es diese besondere Magie transportiert, die ich mit dieser Saison assoziiere. Dabei wirken die übernatürlichen Elemente angenehm dezent und sind nicht zu dominant integriert. Ich bin gespannt, ob das auf „Memory: Stadt der Träume“ auch zutreffen wird, obwohl es keine Fortsetzung ist.
Wenn ihr Lust auf ein modernes, zauberhaft geschriebenes Märchen habt, ist „Heaven“ genau die richtige Wahl. In London, dieser Stadt der Mythen und Geheimnisse, sind Feen lebendig und Mädchen ohne Herz können die Liebe finden.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/01/15/christoph-marzi-heaven-stadt-der-feen
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review 2015-12-12 11:15
Mit Hoodoo und Bullshit wird's schon gehen!
Aloha from Hell - Richard Kadrey

Richard Kadrey ist mein Lieblings-Urban-Fantasy-Autor. Er ist einfach der Beste, wenn es darum geht, harte, witzige, makabre Geschichten zu schreiben, die Magie und Übernatürliches in unsere Welt katapultieren. Bei ihm gibt es keine glitzernden Vampire, keine schmusigen Werwölfe und erst recht keine jungen Frauen, die sich in all ihrem Herzschmerz mit Wonne suhlen. Seine Welt ist die Welt von James Stark aka Sandman Slim, mäßig begabter Hexer, Nephilim und Ex-Höllengladiator. Er ist nicht nett, er hat ein Alkoholproblem und sein Motto lautet „Mit Hoodoo und Bullshit wird’s schon gehen“. Kurz gesagt: ich liebe ihn! „Aloha from Hell“ ist der dritte Band der Reihe und ich freute mich riesig auf ein Wiedersehen mit Stark, seinen Gefährten und seinen Feinden!

 

Wieder einmal regiert die Langeweile in Starks Leben. Das Golden Vigil ist zerschlagen und Luzifer kehrte in den Himmel zurück. Seit er Los Angeles abermals rettete, war Stark brav und arrangierte sich mit dem Engel in seinem Kopf. Aber Stark wäre nicht Stark, hätte er nicht noch ein paar offene Rechnungen, die beglichen werden wollen. Da sich Luzifer kurzerhand aus dem Staub machte, versinkt die Hölle dank Mason im Chaos. Das könnte Stark natürlich egal sein, hätte Mason sich nicht mit Aelita verbündet, die weiterhin der fixen Idee nachjagt, Gott zu töten. Gemeinsam planen sie, Himmel und Hölle zu zerstören und dabei auch gleich noch Stark zu beseitigen. Sie spielen seine größte Schwachstelle gegen ihn aus und entführen Alice aus dem Himmel. Stark hat keine Wahl. Er muss ein weiteres Mal in die Hölle hinabsteigen. Sandman Slim kehrt heim.

 

Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr ein Buch aufschlagt, ein paar Sätze lest und es ist wie nach Hause kommen? So empfinde ich die Bände der „Sandman Slim“ – Reihe. Ich habe stets das Gefühl, Stark so gut zu kennen, als wäre er mein Freund, mit dem ich mich regelmäßig auf ein Bier treffe. Er erzählt mir von seinen Abenteuern und obwohl ich mir recht gut vorstellen kann, worauf seine Geschichten hinauslaufen, überrascht er mich doch jedes Mal mit den Details. Er ist ein Bastard, aber ein Bastard, den man einfach lieben muss. Manchmal vergesse ich, dass er nicht real ist, denn er ist so realistisch und greifbar gezeichnet, dass ich mich ihm ungeheuer nah fühle. Für mich ist es genau das, was die Reihe auszeichnet. In der Urban Fantasy bekommt man es oft mit Charakteren zu tun, deren Eindimensionalität durch eine actiongeladene Handlung vertuscht werden soll. Richard Kadrey hingegen vereint Action, fiesen Galgenhumor und einen psychologisch vielschichtigen Protagonisten zu einem stimmigen Gesamtbild. Stark ist unter seiner harten Schale noch immer verloren und ziellos. Daher habe ich mich über seine Rückkehr in die Hölle überhaupt nicht gewundert. Offiziell steigt er natürlich nur hinab, um Alice zu retten, aber inoffiziell war es lediglich eine Frage der Zeit, wann er das Leben auf der Erde nicht mehr ertragen würde. Stark findet keinen Lebenssinn. Die Arena und die Spielregeln der Hölle waren mehr als 10 Jahre seine Welt und so sehr er es auch zu leugnen versucht, diese Welt ist ihm vertrauter als unsere. Er ist noch immer nicht über Alice hinweg und kann nicht loslassen. Mir war gar nicht klar, wie unheimlich präsent sie all die Zeit über in seinen Gedanken war; das wurde mir erst bewusst, als er ihr in der Hölle begegnet. Sie hat nichts von all dem mitbekommen, was Stark jahrelang erlebt hat und erdulden musste – und doch war es für mich so, als wäre sie da gewesen, weil sie eben nie aus seinem (Unter-)Bewusstsein verschwunden ist. Dass Kadrey ihre emotionale Verbindung auf eine Weise herausarbeitete, die sogar mich vergessen ließ, dass Alice seit vielen Jahren tot ist, spricht von einem Talent, das wirklich beeindruckend ist.
Trotzdem sehe ich „Aloha from Hell“ nicht völlig unkritisch. Ich fand, dass Kadrey die Szenen in der Hölle zu schnell abhandelte. Im Vergleich zum Vorgeplänkel war mir dieser Part zu kurz und etwas zu unübersichtlich. Ich weiß zwar, dass Kadrey großen Spaß daran hat, seine Leser_innen vor vollendete Tatsachen zu stellen, sie zu schockieren und ihnen Haarsträubendes um die Ohren zu schlagen, ohne eine Erklärung abzugeben, aber da die Hölle für Stark ein Ort ist, mit dem er viele widerstreitende Gefühle verbindet, hätte ich mir mehr Tiefe in der Handlung gewünscht. Außerdem verschenkte Kadrey meiner Meinung nach einiges an Potential, indem er ein Zusammentreffen mit einer faszinierenden Persönlichkeit aus der Geschichte oberflächlich und beiläufig gestaltete.
Letztendlich hatte ich aber doch wieder eine Menge Spaß mit Stark. „Aloha from Hell“ ist vielleicht nicht perfekt, mein Lesevergnügen war jedoch enorm. Und darauf kommt es schließlich an.

 

Ich hoffe wirklich, dass Richard Kadrey nie aufhört, „Sandman Slim“ – Romane zu schreiben. In Kombination bieten Stark und seine übernatürliche Welt eine schier endlose Fläche zur Entwicklung, eine bunte Spielwiese, auf der jede noch so obszöne Idee ein Plätzchen finden kann. Ich hoffe, Kadrey schreibt sie alle auf. Ich möchte mich niemals von Stark verabschieden müssen. Irgendwann wird sich das vermutlich nicht vermeiden lassen, doch noch ist es nicht so weit.
Das Großartige an dieser Reihe ist, dass sie so unberechenbar ist, obwohl man vor dem Lesen genau weiß, worauf man sich einlässt. Stark ist ein Wirbelwind aus chaotischer Energie, der am Beginn einer Geschichte selbst nie weiß, wo er landen wird.
Kadreys Reihe ist eine Bereicherung für die Urban Fantasy – es ist eine Schande, dass sie so unbekannt ist. Darum kann ich euch nur einen Rat geben: geht los, kauft einen „Sandman Slim“ – Roman und lernt meinen Freund Stark kennen!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/12/richard-kadrey-aloha-from-hell
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